„Wir machen aus Gesundheitsdaten niemals ein Geschäftsmodell“

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Die private Krankenversicherung will bei einem einheitlichen, digitalen Gesundheitswesen nicht außen vor bleiben. Doch viele Anforderungen sind anders als in der GKV-Welt. Wir haben Annabritta Biederbick und Roland Weber, Vorstände des PKV-Marktführers Debeka, um eine Bestandsaufnahme gebeten.

Herr Weber, über die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen wird derzeit viel gesprochen. Was bedeutet das konkret im Alltag einer privaten Krankenversicherung?

Roland Weber: Erstmal sind wir froh, dass es wieder vorangeht. Als PKV waren wir ja schon mal Gesellschafter der gematik. Weil es dort aber immer einen Patt zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern geben hat, sind wir da nicht weitergekommen. Deswegen sind wir als PKV ausgestiegen. Wir sind jetzt wieder dabei, weil wir gesehen haben, dass Jens Spahn sich bemüht, dass wir endlich vorankommen. Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung die Mehrheit an der gematik übernommen hat, um Nägel mit Köpfen zu machen und wir endlich die verlorene Zeit aufholen können. Schwieriger wird es für uns bei der Frage, inwieweit die PKV so bindend mitmachen kann wie die GKV. Letztlich kann Jens Spahn immer nur Gesetze für die gesetzliche Krankenversicherung erlassen.

Annabritta Biederbick: Als PKV sagen wir: Wenn wir Digitalisierung wollen, dann müssen uns an die Datenautobahnen der GKV anschließen, denn wir sind zu klein, um eine eigene Infrastruktur aufzubauen. Der gesamte PKV-Versicherungsmarkt ist gemessen an der Mitgliederzahl ja kleiner als die Techniker Krankenkasse. Der Gesetzgeber kann die PKV und die Privatärzte und gerade auch die Versicherten nicht so einfach verpflichten, diese technische Infrastruktur zu benutzen, weil wir in dem SGB V-System nicht so drin sind. Deswegen ist das bei uns eine Freiwilligkeit. Umso wichtiger ist es für uns, die Infrastruktur der GKV zu benutzen, denn wenn ein Arzt diese für die gesetzlich Versicherten benutzt, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er die gleichen Prozesse auch für die Privatversicherten anwendet. Wie werden unsere Mitglieder oder Kunden aber nicht nur mit der ePA, die momentan noch nicht viel kann, begeistern können. Um sie wirklich zum Mitmachen zu bewegen, werden wir noch zusätzliche Dienste draufsetzen müssen. Natürlich ist die ePA auch für GKV-Mitglieder freiwillig, aber das Konzept ist fester im SGB V-System verankert. Allgemein gilt, dass so ein E-Health-Konzept ja oft nur dann Sinn macht, wenn möglichst viele mitmachen. Hier können wir uns z. B. eigene Use Cases vorstellen. Ich möchte an dieser Stelle gleich ein Beispiel geben für die Besonderheiten in der PKV. Wenn sich die PKV an den gematik-Prozess des E-Rezepts der GKV andockt, dann hört der Prozess in der Apotheke auf, wenn der Versicherte das Medikament bekommt. Bei uns ist aber noch der ganze Erstattungsprozess mit dran. Den interessiert aber die GKV nicht. Das heißt, wir müssen sehr viel mehr draufsetzen als die GKV, unabhängig von gematik, um gute Use Cases hinzubekommen. Also, wir sehen die Entwicklung ingesamt sehr positiv, aber wir werden die Versicherten überzeugen müssen, durch wirklich smarte Anwendungen.

Gibt es denn schon Partner und einen Zeitplan für die konkrete Ausgestaltung der ePA?

Roland Weber: Um es gleich vorwegzunehmen: Ich halte aus IT-Sicht das Konzept einer ePA, die noch auf dem Konzept einer physischen Karte basiert, für nicht mehr zeitgemäß. Ich wünsche mir stattdessen moderne Smartphone-Anwendungen für den Zugang zur Telematikinfrastruktur. Ob das möglich ist, ist allerdings noch offen. Ich hoffe, dass wir beim Thema der alternativen Identitäten schnell weiterkommen, über den Gesetzgeber, über das BSI.

Annabritta Biederbick: Was den Zeitplan angeht. Im PKV-Verband gibt es ein großes gematik-Projekt, in dem notwendige Prozesse, die dem vorgelagert sind, z. B. dass jeder Versicherte eine Krankenversicherungsnummer bekommt, aufgebaut werden. Als Debeka überlegen wir jetzt, wie wir dieses Projekt am besten aufziehen und wie wir unseren Versicherten diese Anwendungen am besten zur Verfügung stellen können. Ein naheliegender Weg wäre über unser Gesundheitsportal „Meine Gesundheit“, das wir vielen Versicherten anbieten und auch noch ausbauen wollen, auch in Zusammenarbeit mit der CompuGroup und anderen großen privaten Krankenversicherern wie der Axa, der Huk oder auch der Bayerischen Beamtenkrankenkasse. Aus Versichertensicht wäre es naheliegend, dass das Gesundheitsportal und ePA mit ihren Anwendungen und auch die anderen TI-Anwendungen in einem gemeinsamen Frontend zur Verfügung stehen. Einen ganz festen Zeitplan haben wir aber noch nicht, weil wir noch eine gewisse Sicherheit in der Gesetzgebung abwarten. Schaffen wie eine Gesundheitskarte an oder nicht? Das sind schon große Prozesse bei der Debeka, allein der Kartenausgabeprozess. Aber natürlich stemmbar. Das muss in die Planungen einfließen. Also, es gibt noch keinen festen Zeitplan, aber wir sind am Planen.

Eine aktuelle Debatte dreht sich um die Kriterien im Rahmen der Zertifizierung der DiGAs beim BfArM, z. B. im Hinblick auf den medizinischen Nutzen oder auch die Preisbildung. Die privaten Krankenversicherer haben ein eigenes Zulassungsverfahren ins Spiel gebracht. Warum?

Annabritta Biederbick: Im Detail muss man da natürlich genau hinsehen. Die DiGAs sind bei uns ein großes Thema, auch getrieben durch das Gesetz. Was wir beobachtet haben im Rahmen von Versorgungsprogrammen, die wir unseren Versicherten haben zugute kommen lassen, ist, dass sich durch die neuen Möglichkeiten der GKV-Erstattung die Preise der DiGAs teilweise verzichtfacht haben. Das ist für einen Kostenträger natürlich sehr, sehr unschön, wenn er ein smartes Tool entdeckt, das seinen Versicherten nützt und das er gerne zur Verfügung stellen möchte. Und allein aus dem Grund, dass sich daraus ein größerer Markt ergibt, die Preise angehoben werden. Wir haben deswegen auch schon Tools aus Versorgungsprogrammen rausgenommen und was Alternatives reingetan. Da fragt man sich natürlich schon, ob die Preisgestaltung da richtig ist und man vielleicht noch regulieren muss.

Die PKV muss sich in diesem Punkt auch immer die Frage des Wettbewerbs stellen, des Wettbewerbs zur GKV. Die GKV ist bei den DiGAs natürlich vorgeprescht, durch die Gesetzesinitiativen von Jens Spahn. Und die DiGAs werden ja auch bezahlt, wenn sie das Zertifizierungsverfahren durchlaufen haben. Da muss sich die PKV erstmal fragen: Wollen wir das auch? Uns wurde das nicht vorgeschrieben. Wir fragen uns: Wollen wir „nur“ die DiGAs der GKV erstatten oder wollen wir schneller sein? Oder wollen wir unseren Versicherten auch DiGAs zur Verfügung stellen, die das Zertifizierungsverfahren nicht überstanden haben, aus welchen Gründen auch immer. Oder Startups sagen: „Das ist uns zu teuer“, d. h. sie wollen bewusst das Zertifizierungsverfahren des BfArM umgehen. Das gibt es ja auch. Diese Startups wollen die DiGA lieber auf dem Selbstzahlermarkt etablieren plus eben PKV. Diese Fragen müssen wir uns stellen. Und daran anschließend: Brauchen wir ein eigenes Zertifizierungsverfahren als PKV? Nur etwas zu erstatten was wir nett finden, reicht ja auch nicht. Eine App sollte ja auch eine gewisse Wirkung haben und zum Therapieerfolg beitragen. Und es gibt natürlich Datenschutzfragen.

Roland Weber: Es ist ein bisschen so, wie wir das seit vielen Jahren aus dem Gemeinsamen Bundesausschuss kennen, der oft lange braucht bis er neue Verfahren und Methoden für die GKV zulässt. Und wir als PKV da schneller waren und den G-BA damit unter Druck gesetzt haben, weil die gesetzlichen Kassen das auch wollten. Diesen Wettbewerb wollen wir auch im Bereich der DiGAs aufrechterhalten. Wir waren z. B. die ersten die Telekonsultationen für unsere Versicherten ermöglicht haben. Vielen gesetzlichen KVs sind danach auf den Zug aufgesprungen. Und sind jetzt froh, in Corona-Zeiten über diese Möglichkeit zu verfügen. Das BfArM wird sich der bei der DiGA-Zulassung fragen: „Wofür ist die GKV da?“. Die GKV stellt Leistungen für das medizinisch Notwendige und für als politisch sinnvoll erachtete Sachverhalte im Rahmen des SGB V bereit. Die PKV funktioniert da anders.

Neue Apps und Online-Programme bieten die Möglichkeit einer neuen Servicequalität und auch einer neuen Art der medizinischen Versorgung. Mir ist aufgefallen, dass das Angebot vieler gesetzlicher Krankenkassen im Vergleich zu den Privaten deutlich vielfältiger ist. Woran liegt das?

Annabritta Biederbick: Einige Anwendungen sind bei uns im Internet ein bisschen versteckt. Wir haben da eine Philosophie. Wir wollen Versicherten nicht „irgendeine“ App anbieten. Ich nenne jetzt mal „mySugr“, ohne die App bewerten zu wollen. Wir sagen unseren Versicherten nicht: „Benutzt die App!“. Und lassen Sie dann alleine. Unsere Philosophie beim Gesundheitsmanagement lautet, dass wir die Versicherten begleiten wollen und die Apps dabei unterstützend sind. Bei einer Diabetiker-App wollen wir z.B. auch einen Coach zur Verfügung stellen, der die Werte mit den Versicherten gemeinsam durchgehen kann. Wir haben ein Online-Programm für psychisch Kranke. In unserem Diabetiker-Versorgungsprogramm haben wir eine App eingebaut. Wir haben ein Schlafprogramm mit mehreren verschiedenen Apps. Wir haben also Apps in der Anwendung, aber immer nur eingebettet in Versorgungsprogramme. Auch die TeleClinic erstatten wir. Was wir nicht haben, sind reine Präventionsprogramme, z. B. eine Fitness-App. Wir wollen zwar immer mehr Gesundheitsdienstleister werden, aber sind doch in erster Linie Krankenversicherer. Das hat auch sehr mit unseren Tarifen und auch mit der Versicherungsaufsicht zu tun. Bei uns ist der Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer Krankheit oder von Unfallfolgen. Und Schwangerschaft z. B., was natürlich keine Krankheit ist. Es muss also erstmal überhaupt ein Versicherungsfall vorliegen, bevor wir ins Spiel kommen und Erstattungen leisten können. Da gibt es eine Diskussion mit den Aufsichtsbehörden. Wir können nicht einfach aus Beitragsgeldern Fitness-Apps zur Verfügung stellen. Das müsste aus anderen Geldquellen geschehen.

Roland Weber: Ich glaube, es spielt eine große Rolle in der GKV, dass sie aktuell nach §20 SGB V („Primäre Prävention und Gesundheitsförderung“) gezwungen ist, Versicherten für 7,52 € jährlich Präventionsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Viele Kassen haben Schwierigkeiten auf diesen Betrag zu kommen. Und deshalb bietet man eine Vielzahl von Apps an, um anschließend dieses Budget erfüllen zu können. Und wenn das Gesetz geändert wird, dann macht man plötzlich was ganz anderes. Wir bieten nicht an, was der Gesetzgeber und der Gesundheitsminister gerade nach Lust und Laune gerne hätte.

Wie könnte denn eine Verstetigung der Dienstleistungs-Mentalität bei der Debeka aussehen?

Annabritta Biederbick: Wir haben z. B. mit der Süddeutschen Krankenversicherung ein Unternehmen gegründet, CareLutions mit Sitz in Stuttgart. Das soll nicht den Arzt ersetzen. Wir wollen auch nicht Digitalisierung der Digitalisierung wegen machen. Wir führen keine App ein, nur weil sie uns gut steht. Wir suchen nach gezielten Bausteinen für ein Programm.

Die Debeka ist Geber des VC-Fonds „Heal Capital“, in den insgesamt gut 100 Millionen € von gut 20 PKV-Unternehmen fließen. Was versprechen Sie sich von dem Projekt in den nächsten fünf Jahren?

Roland Weber: Wir wollen Innovationstreiber sein und hoffen natürlich, dass bei dem Projekt einiges für uns rumkommt, ein konkretes Startup haben wir uns aber bisher nicht ausgesucht. Wir gehen an das Projekt nicht politisch ran.

Mal etwas weiter in die Zukunft gedacht: Als Krankenversicherer sitzen sie auf jede Menge Gesundheitsdaten. Gab es denn schon mal die Idee, daraus mehr zu machen?

Annabritta Biederbick: Wir dürfen die Daten nur nutzen für den Zweck, für den sie uns gegeben worden sind. Wenn das für eine bessere Versorgung unserer Versicherten sein soll, dann müssen wir diesen Trend im Prinzip mitgehen. Aber mit dem Vertrauen, das unsere Versicherten uns entgegenbringen, müssen wir sehr sensibel umgehen. Im Rahmen der Gesundheitsdienstleistungen eines Krankenversicherers nutzen wir diese Daten auch schon, oft anonym, z. B. im Rahmen von Analysen oder Selektionen. Zum Beispiel um herauszufinden, wie groß der Bestand an Versicherten ist, die möglicherweise an Hepatitis C erkranken. Ich kann mir vorstellen, dass die Versicherten so etwas eines Tages von uns verlangen. Wir haben da allerdings sehr enge gesetzliche Vorgaben. Ein zweites Google werden wir also nicht. Aber es wäre denkbar, auf den Gesetzgeber hinzuwirken, z. B. durch die Darstellung bestimmter Use Cases, um zu zeigen, das sich damit auch vernünftige Dinge anstellen lassen und Leben gerettet werden können.

Roland Weber: Der Versicherte hat das Recht über seine Daten zu bestimmen. Was wir niemals machen werden, ist aus den Gesundheitsdaten unserer Mitglieder ein Geschäftsmodell zu machen. So wie in den USA. Dort ist es ja durchaus üblich, Gesundheitsdaten weiterzuverkaufen. Die Daten müssen Teil der Versichertengemeinschaft bleiben und gehören nicht nach draußen. Nur im Einzelfall und nach Einwilligung würden wir einen Versicherten informieren.

Ohne Vertrauen und Transparenz werden Versicherte die neuen digitalen Dienste wohl kaum nutzen. Müssen Krankenkassen hier einen Beitrag leisten?

Annabritta Biederbick: Unbedingt. Wir achten bei Apps in Versorgungsprogrammen darauf was passiert. Wohin gehen die Daten? Wo stehen die Server? In der EU außerhalb der EU? Transparenz ist ein Gebot des BDSG und der DSGVO.

Wie sieht eine erfolgreich digitalisierte Debeka also in 10 Jahren aus?

Roland Weber: Für die Versicherten wird es einfacher. Das Einreichen von Rechnungen wird komplett digital ablaufen. Bisher ist es ja noch so: Mitglieder bekommen eine Papierrechnungen vom Arzt, fotografieren sie, schicken uns das Foto, wir müssen versuchen die Daten herauszulesen und daraus die Erstattung machen. Obwohl die Daten ja eigentlich schon beim Arzt liegen. Wer werden Versicherten Informationen bereitstellen über die eigene Gesundheit und über mögliche Erkrankungen, nicht so wie über die Google-Suchmaschine, wo erstmal zwielichtige Selbsthilfegruppen erscheinen. Unsere Mitglieder bekommen qualitätsgesicherte Daten. Online-Sprechstunde und Online-Terminvereinbarung mit dem Arzt werden möglich sein. Wir werden unsere Versicherten rund um das Thema Gesundheit betreuen und ihnen viele Möglichkeiten zur Verfügung stellen, die das Leben angenehmer und sicherer machen.

Vielen Dank für das Gespräch.

zuletzt aktualisiert: 12.04.21, 12:08 Uhr

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