Archiv der Kategorie: Lokales

Das große Aufrüsten

Bild: DAI Heidelberg

Beim International Science Festival „Geist Heidelberg“ referierten die Technikpublizisten Constanze Kurz und Frank Rieger über neue Sicherheitsbedrohungen aus dem Netz.

Mit dem Begriff „Cyberwar“ verbinden die meisten von uns eher fiktionale Szenarien. Wie abhängig wir von der digitalen Infrastruktur inzwischen tatsächlich geworden sind (und wie verwundbar sie uns macht), das rufen wir uns im Alltag eher selten ins Gedächtnis. In den Medien erleben wir den Krieg im Netz meist als zwischenstaatliches Szenario. Da sind die großen Aufmacher wie der NSA-Skandal (2013), der Bundestagshack (2015) oder auch die WannaCry-Angriffe (2017), hinter denen nordkoreanische Interessen stehen sollen.

Auch Frank Rieger bezeichnete das Thema Cybersicherheit als eine „eher dunkle Stelle im Denken“. Dass diese Bedrohung sehr real ist, daran ließen die beiden Informatik-Experten an diesem Abend aber keinen Zweifel. Es gebe inzwischen ein großes Bedürfnis auch der deutschen Sicherheitsbehörden wie Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt oder auch der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) im Konzert der Cybermächte „endlich mitmischen“ zu wollen, so Rieger. Die Cybermächte, das seien die sog. „Five Eyes“ (USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland) und natürlich China und Russland. Aber auch kleinere Länder wie Nordkorea, der Iran oder Israel seinen sehr aktiv, so die Autoren des Buchs „Cyberwar – Die Gefahr aus dem Netz: Wer uns bedroht und wie wir uns wehren können“.

Constanze Kurz attestierte der Hacker-„Branche“ eine inzwischen „hohe Professionalisierung“, die den letzten Jahren deutlich gestiegen sei. Es habe sich ein regelrechter Markt für IT-Überwachungs- und Intrusionsdienstleistungen gebildet, z. B. in Form der in Mailand gegründeten Firma Hacking Team, für deren Produkte sich auch das BKA interessiert habe. Die Preise für das Kaufen solcher „Werkzeuge“, die sicheren Zugriff auf zentrale Infrastrukturen gewährleisteten, hätten sich den letzten Jahren „verzehnfacht“, so Kurz. In Saudi Arabien habe man beispielsweise Schadsoftware in Industriesteuerungscomputern zur Regelung des Drucks und der Temperatur von Erdölanlagen gefunden. Da stelle sich natürlich die Frage „Wem nutzt das?“. Die genaue und direkte Zuordnung der Verursacher im Netz sei sehr schwierig.

In diesem Wettbewerb der Cyberwaffen versuchten Sicherheitsbehörden wie die CIA auch zunehmend eigene Strukturen wie spezielle Venture Capital-Fonds zur Gründung eigener Firmen aufzubauen, um unabhängiger vom Markt zu werden. Das alles seien „keine Geheimwissenschaften“, so die Informatikerin, die Preislisten seien öffentlich einsehbar. Um ein langfristiges wechseleitiges Aufrüsten zwischen den Staaten zu verhinden, plädierten Rieger und Kurz im Verlauf des Abends mehrfach für eine defensive Strategie der zwischenstaatlichen Verträge.

Der neue „rechtsfreie Raum“ der Cyber-Aufrüstung sei nicht zu tolerieren, so Kurz in einem leidenschaftlichen Plädoyer. Es könne nicht sein, „dass wir uns daran gewöhnt haben, dass die Geheimdienste machen was sie wollen“. Das Thema müsse verstärkt auf die Agenda der politischen Parteien gesetzt werden, z. B. in Form einer Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags.

Constanze Kurze beklagte auch eine „fehlende Ethik“ im Ingenieursgewerbe für Software. Auch „Microsoft-Monokulturen“ beförderten die Sicherheitsanfälligkeit. Daran anknüpfend forderte Frank Rieger ein Label für die Garantie von Sicherheitsupdates der Hersteller, so „wie ein Etikett bei Waschmaschinen für den Energieverbrauch“.

Was jeder Einzelne von uns den gegen diese neue Strukturen unternehmen könne?, fragte ein Zuhörer. Constanze Kurz empfahl den Ratgeber „Eine kurze Anleitung zur digitalen Selbstverteidigung“ der Digitalen Gesellschaft Schweiz. Denn der Cyberkrieg beginnt (auch) auf jedem einzelnen Rechner – ganz real.

Wenn die Gedanken nicht mehr frei sind

Bild: DAI Heidelberg

Miriam Meckel sprach auf dem International Science Festival „Geist Heidelberg“ über die schöne neue Welt des „Brainhacking“.

Sind wir eines Tages vielleicht nicht mehr Herr über die Gedanken in unserem Kopf? Dieser zentralen Frage widmete sich die Professorin und Herausgeberin der Wirtschaftswoche Miriam Meckel an einem der symbolträchtigsten Orte für das freie Denken in Heidelberg – der Alten Aula.

Das Internet gilt inzwischen als das technische Rückgrat fast aller Lebensbereiche. Warum also nicht auch das Gehirn daran anschließen? Aus Sicht der Technologie-Historie spräche jedenfalls einiges dafür, dass dies eines Tages passieren werde, so die Professorin. Vielleicht seien wir sogar gezwungen dazu, um mit den künstlich intelligenten Maschinen mithalten zu können. Es gäbe immer mehr Maschinen, die zunehmend Domänen eroberten, die bisher ausschließlich dem Menschen vorbehalten waren. Anders gesagt: Wenn die Software schöner dichtet als der Mensch, was macht uns dann noch aus?

Gedanken „lesen“, Gedanken „schreiben“ und die „Vernetzung“ von Gehirnen, all das fände bereits statt, so Meckel. Probanden von „BrainGate“, einem Projekt zur Erforschung von Gehirn-Computer-Schnittstellen, die am Locked-in-Syndrom (einer fast vollständigen Lähmung des Körpers) leiden, hätten gelernt, per Gedanken eine Roboter-Protese zu steuern – mit überwältigender emotionaler Resonanz über das Ergebnis. „Ich habe mich gefühlt wie der Mensch, der ich einst gewesen bin“, zitierte Meckel eine Probandin.

Auch das Schreiben von Text mit der reinen Kraft der Gedanken sei bereits möglich. Facebook entwickle ein Gerät, mit dem sich 100 Wörter pro Minute allein durch Gedankenkraft diktieren ließen. „Das ist schneller als mancher Mensch denkt“, so Meckel.

Doch an einer solchen neuen Schnittstelle lauern für sie auch die größten Gefahren. Sind alle Worte, die am Sprachzentrum ankommen, dann auch für die Öffentlichkeit freigegeben? Bzw. für Facebook? Zuhause „Briefe vor sich hinzudenken“ sei eine durchaus bequeme und verlockende Lifestyle-Option, doch entstünde dadurch nicht z. B. auch ein neuer Markt im Gehirn? Wollen wir Facebook wirklich bis in die Tiefen unserer Gedankenwelt vordringen lassen?

Meckel warnte vor dem „Bild der Maschine“, das über das, was den Menschen eigentlich ausmache, „das Nicht-Binäre“, gestülpt werde. Medizinische Fortschritte seien hingegen sorgfältig abzuwägen, z. B. im Bereich der Optogenetik, wo sich bei Mäusen durch die gezielte Manipulation von Hirnarealen per Laser Depressionen lindern ließen. Und auch ein „organisches Internet“ gäbe es schon. Zwei Ratten hätten in Experimenten bereits „Gedanken“ über das Internet ausgetauscht. Das Lernmuster zum Lösen einer einfachen Konditionierungsaufgabe wurde per Internet von einem Rattenhirn auf das andere Rattenhirn übertragen.

Mit Experimenten wie diesen sieht Meckel auch den Menschen eine „neue existenzielle Dimension“ ansteuern, nämlich die Möglichkeit eines „kollektiven Bewusstseins“ und eines „gemeinsamen Denkens“. Die Fragen, die damit entstünden: Was bedeutet in einem solche Prozess Identität? Kann ich mich dann überhaupt noch selbst erkennen?

Die Idee des Individuums der Aufklärung sei in Gefahr, so Meckel. Ein „Kampf um die Ressource des Denkens“ könne entstehen, der Geist – zur „Ware“ degradiert – zur „Wettbewerbszone“ verkommen. Damit wären wir im Zeitalter des „Neurokapitalismus“ angekommen.

Es läge an uns, zu entscheiden, was wirklich passieren soll, so Meckel. Eine „Reduktion von Komplexität“ durch eine neue Technik sei nicht wünschenswert.

Und auch wenn diese Entwicklung für uns im Alltag noch weit weg sei, so gelte es jetzt die richtigen Entscheidungen zu treffen. Miriam Meckels Plädoyer: „Denken Sie nach! Sie haben die Freiheit dies zu tun.“

Der viel zu rasante Fortschritt?

Bild: DAI Heidelberg

Im Rahmen des International Science Festival „Geist Heidelberg“ diskutierte Wirtschaftsjournalist Thomas Schulz mit Heidelberger Vertretern aus Wirtschaft und Medizin über die neue digitale Datenmedizin aus dem Silicon Valley.

„Was ist das nächste große Ding?“. Mit dieser Frage eröffnete der Spiegel-Journalist und langjährige Silicon Valley-Korrespondent Thomas Schulz (neues Buch: „Zukunftsmedizin“) seinen Vortrag über die neue digitale Medizin aus Kalifornien. Eine Frage, die dort offenbar täglich gestellt wird. Und um das herauszufinden, gibt es wohl nur einen Weg: „Follow the money“, so Schulz und ließ die Zahlen purzeln: 1 Milliarde US-Dollar Startkapital für „Grail“, einem Biotechnologie-Startup, das eine Krebs-Früherkennung per Bluttest entwickelt, 500 Millionen US-Dollar für die Erzeugung von menschlichen Organen aus dem 3D-Drucker, 600 Millionen US-Dollar für den Chan Zuckerberg Biohub, einem Gemeinschaftskonsortium der Universitäten Berkeley, UCSF und Stanford, das an der Entdeckung neuer Zelltypen arbeitet, und nochmal 1 Milliarde US-Dollar für Calico von Google, einem Biotechnologie-Unternehmen, das den menschlichen Alterungsprozess aufhalten will.

„Wenn Sie ein kluger Kopf sind und mit einer guten Idee zur Sparkasse gehen, dann bekommen sie dort vielleicht 500.000 Euro. Im Silicon Valley unter Umständen gleich 50 Millionen Dollar. Wo würden Sie dann hingehen?“, wies Thomas Schulz auf die extremen Unterschiede der Investment-Kultur in Deutschland und dem Silicon Valley hin, einer ganz besonderen Mischung aus „Utopismus und Kapitalismus“.

In seinem einführenden Vortrag betonte er vor allem die Schnelligkeit der Entwicklungen, die dort gerade stattfinden. Die Genschere CRISPR/Cas habe nach fünf Jahren Entwicklungszeit ihren ersten Einsatz am Menschen erlebt. Früher hätte so etwas mind. 30 Jahre gedauert, so Schulz. Die Entwicklung des Fortschritts verlaufe exponentiell, es gelte das Prinzip der „Konvergenz“, also das Zusammenfließen von Erkenntnissen aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen. Dabei mache die Rasanz der Forschungen der letzten Jahre auch ihn nachdenklich. Selbst gestandene Größen der Tech-Szene würden mitunter einwerfen, man verstehe gar nicht mehr, was da eigentlich gerade passiert, verwies Schulz auf ein Gespräch mit Larry Page, dem Geschäftsführer von Google.

„Es ist der Mensch und nicht die Maschine, die uns rettet!“, gab es einen lautstark aus dem Publikum vorgetragenen Einwand. Thomas Schulz bat um Geduld, verwies auf die nachfolgende Diskussionsrunde und lies dann Beispiele folgen, wo die Maschine erwiesenermaßen besser sei als der Mensch, zum Beispiel beim Hautkrebs-Screening und dem Erkennen von krankhaften Strukturen im Allgemeinen. Brauchen wir also in Zukunft vielleicht gar keine Radiologen mehr?

An diesem Punkt traten Prof. Dr. med Jürgen Debus von der Radiologischen Universitätsklinik Heidelberg und Dr. Friedrich von Bohlen, Geschäftsführer von Molecular Health, einem Unternehmen für datengestützte Präzisionsmedizin, auf. „Das ist was dran“, konstatierte Jürgen Debus nüchtern. Die Frage sei aber: „Was mache ich daraus?“. Die Maschine könne vieles besser, sie sei in vielem sicherer, aber sie sei eben nicht intelligent. Eine Maschine finde statistische Korrelationen (Wahrscheinlichkeitszusammenhänge), aber die Kausalität (Beziehung zwischen Ursache und Wirkung), die müsse immer noch der Mensch herstellen. „Mehr Freiraum für Entscheidungen“, wie Thomas Schulz es formuliert, würden die Maschinen aber in jedem Fall liefern.

Friedrich von Bohlen sieht im Computing die nächste große Medizin-Revolution, die „völlige neue Dimensionen“ in der Medizin sichtbar mache, z. B. neue Muster von Mutationen in der Krebsdiagnostik, die sich dann doch mit Verlaufsdaten und Lifestyle-Daten koppeln ließen.

Jürgen Debus betonte die Notwendigkeit „den Patienten insgesamt zu modellieren“ und dazu seinen möglichst viele Daten unabdingbar. Der Wissensschatz der Medizin sei heute so groß, dass ihn kein Mensch mehr überblicken könne. Die Radiologen von heute seien dermaßen spezialisiert, dass für die Bestrahlung eines Hirntumors und die Bestrahlung eines Prostatatumors zwei unterschiedliche Experten notwendig seien, die auf ihrem jeweiligen Fachgebiet kaum miteinander kommunizieren könnten.

Doch der freie Umgang mit medizinischen Daten birgt auch viele Gefahren, allen voran beim Datenschutz. Die Debatte um die elektronische Gesundheitsakte in Deutschland ist dafür ein Musterbeispiel.

Friedrich von Bohlen hofft darauf, dass sich das Problem vielleicht anders lösen lasse, z. B. indem die Patienten ihre Daten in Zukunft selbst auf dem Handy mit sich herumtragen. Es gebe ja heute bereits USB-Sticks, „da spucken Sie drauf, und ein paar Sekunden später haben Sie ihren DNA-Fingerabdruck in der Hosentasche.“ Für Jugendliche sei das Smartphone eh schon der Mittelpunkt ihres Lebens. Jürgen Debus sah an diesem Punkt schon eine „Anmache 4.0“ aufziehen: „Homozygot mit blauen Augen, na, wie wäre es mit uns beiden?“, warf er mit einem Schmunzeln ein.

Das sehr ernste Problem dahinter nennt Thomas Schulz „Konsumenteneugenik“. Jürgen Debus betonte, dass man die Menschen darauf vorbereiten müsse, was es bedeute „wenn man sein Genom ins Internet stellt“. Neue Technologien dürften „nicht einfach freigeschaltet“ werden.

Die neuen Technologien seien „an sich nicht gefährlich“ sagte Friedrich von Bohlen, aber könnten sich nur wenige Menschen darunter auch etwas vorstellen. Grundsätzlich sei der technologische Fortschritt nicht aufzuhalten.

Auf die Frage, wie das Gesundheitssystem mit der neuen Datenmedizin umgehen solle, plädierte Friedrich von Bohlen für neue „Belohnungsstrukturen“, die vor allem „langfristig“ angelegt sein müssten. Es müssten Anreize geschaffen werden, die Daten frühzeitig ins System zu spielen. Patienten könnten dafür z. B. in Form von Kryptowährung ausgezahlt werden, sagte er. Vielleicht hätten wir später mal einen „technischen Arzt“ und einen „menschlichen Arzt“, die beide zum Wohl des Patienten zusammenarbeiteten.