Auf, auf zu einer neuen Pflege

erschienen in EHEALTHCOM 2_3/22

Auch die Pflege soll jetzt digital werden. Was ist zu tun? Das Bündnis „Digitalisierung in der Pflege“ lud zum politischen Fachgespräch, um den politisch Verantwortlichen auf den Zahn zu fühlen.

Neue Regierung, neues Glück, könnte man pauschal sticheln. Mit Jens Spahn hat die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen bekanntlich an Fahrt aufgenommen. Was löblich klingt, hat aber weiterhin viele Verantwortliche überrumpelt. Das E-Rezept hat der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach erstmal auf Eis gelegt. Zwar läuft der Fast Track, aber die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) haben bei den Leistungserbringern noch nicht so wirklich eingeschlagen, auch wenn sie den Patienten eigentlich nützlich sein könnten. Nichtsdestotrotz sollen in der Pflege auf die DiGA jetzt gleich die digitalen Pflegeanwendungen (DiPA) folgen. So sieht es das Digitale-Versorgung-und-Pflege–Modernisierungs–Gesetz (DVPMG) vor. 

Große politische Einigkeit im Ampel-Spektrum

Die Ampel-Regierung will jedenfalls weitermachen mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen, verspricht im Koalitionsvertrag eine „regelmäßige fortgeschriebene Digitalisierungsstrategie“. Auch das klingt löblich. Die Formulierung bietet aber auch Anlass, um bei den digitalpolitischen Sprechern der Parteien mal etwas genauer nachzuhaken. Genau darum ging es auf der Veranstaltung „Ganzheitliche Digitalisierungsstrategie in der Pflege“.

Eine der zentralen Fragen der knapp einstündigen Veranstaltung war: Wem soll und wird dann die Digitalisierung in der Pflege letztlich nutzen? Den Pflegebedürftigen, den Angehörigen, den Pflegekräften oder am Ende doch wieder „nur“ den Kassen? Weitgehend einig waren sich die Diskutanten bei der angestrebten Entlastung der Pflegekräfte, die wieder mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe gewinnen sollen, „dem Kümmern“ wie es der digitalpolitische Sprecher der SPD Matthias Mieves formulierte. Auch Kordula Schulz-Asche, Mitglied im Ausschuss für Gesundheit von Bündnis 90/Die Grünen, kritisierte die bedrohliche Tendenz, dass die eigentliche Betreuungsaufgabe zunehmend in den Hintergrund rücke. Digitale Lösungen könnten hier helfen, z. B. auch durch neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit der verschiedenen Gesundheitsberufe. Auch sei das Problem des demografischen Wandels im Prinzip „nur digital lösbar“. 

Maximilian Funke-Kaiser, digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, betonte die Vielzahl der möglichen Ansatzpunkte einer digitalen Verbesserung der Pflege, von der Dokumentation, über die Sturzerkennung zu Hause bis hin zum im digital unterstützten kommunalen Quartiersmanagement für eine selbständigere Versorgung von Senioren. Er will die Vernetzung im Gesundheitswesen weiter ausbauen. Eine sichere TI und die Sicherstellung der technischen Interoperabilität seien dafür die Grundvoraussetzung. Auch Erich Irlstorfer, pflegepolitischer Sprecher der CSU-Bundestagsfraktion, möchte vor allem die Pflegekräfte entlasten und eine „sektorenübergreifende Entzerrung“ von Gesundheitsdienstleistungen. 

Es herrschte also im Prinzip Einigkeit, dass kein Weg um die Digitalisierung in der Pflege herumführt. Und auch erste Ideen für eine gezielte Einführung nannten die politisch Verantwortlichen. 

Folgt auf den HIH das KDP?

Matthias Mieves (SPD) stellte klar, dass ohne eine klare nationale Strategie letztlich alle politisch gesetzten Impulse nicht zielführend sein könnten. Er stützte damit das Anliegen des Bündnisses „Digitalisierung in der Pflege“ (getragen von den Verbänden bvitg, DEVAP, DPR , FINSOZ, vediso und VdDD), dessen primäre Forderung die Erarbeitung genau eines solchen nationalen Strategieplans ist. Ein Kompetenzzentrum Digitale Pflege (KDP), einer Organisationsstruktur analog dem health innovation hub, der bis Ende 2021 aktiv war und sich u. a. intensiv um die DiGA gekümmert hat, will das Bündnis als zentrale Koordinationsstruktur und Vernetzungsplattform etablieren. Das KDP soll, analog, zum hih, dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt sein. Dort könnte dann ein interdisziplinär besetztes Team aus hauptberuflich und ehrenamtlich Tätigen, die alle Akteure des Gesundheitssystems repräsentieren sollen, regelmäßig zusammenkommen und im Austausch mit dem BMG, Bürgern, Leistungserbringern oder auch Herstellern z. B. Richtlinien und Leitfäden für die Digitalisierung in der Pflege erarbeiten.

Es zeigte sich, dass eine solche Instanz bei der Ampelkoalition durchaus auf offene Ohren stößt, auch wenn sie im Koalitionsvertrag bekanntlich nicht vorkam. Mieves etwa betonte, dass In einem solchen Kompetenzzentrum „institutionalisierte Best Practices“ ausgearbeitet werden könnten. Außerdem könnten – nach dem Design Thinking-Prinzip – zuvorderst auch die Menschen in der Pflege mit einbezogen werden, die mit einer Lösungen letztlich arbeiten sollen.

Weitere Forderungen des Verbändebündnisses: Eine digitale Kompetenzförderung bei allen Beteiligten, z. B. durch die Überarbeitung von Ausbildungsplänen in der Pflege, soll die Akzeptanz von technischen Lösungen sicherstellen, in den Pflegeheimen aber auch z. B. bei Smart Home Care-Lösungen, mit denen eine digital unterstützte Pflege im häuslichen Umfeld möglich ist. Im Zuge dieser Entwicklung sollen auch ganz neue Berufe entstehen, z. B. der eines „Pflege-Digital-Begleiters“. Schließlich ginge nichts ohne eine „digitale Grundausstattung“, sowohl in den Pflegeeinrichtungen als auch in den eigenen vier Wänden. Deshalb will das Bündnis laut Grundsatzpapier den „digitalen Reifegrad“ von Pflegeeinrichtungen bestimmen lassen. Bis Ende dieses Jahres soll eine entsprechende Analyse vorliegen. Auch hier wird aus dem Vorbild kein Geheimnis gemacht: Die digitale Reifegradmessung ist Gegenstand des DigitalRadar-Projekts, das die Förderung durch das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) begleitet.

Na klar, das Geld

Damit die Pflegeeinrichtungen die infrastrukturellen Voraussetzungen (an)schaffen könnten, fordert das Bündnis „Digitalisierung in der Pflege“ auch eine gesetzgeberische Reform der Finanzierungsmöglichkeiten: „Die Innovationsförderung in ihrer bisherigen Form, unter anderem die in § 68a SGB V für den Bereich der Krankenversicherung festgeschriebenen Vorgaben, setzt in der Breite nicht die erforderlichen Anreize, um innovative digitale Lösungen und Prozesse in der stationären und ambulanten Pflege zu erproben und umzusetzen“, heißt es im Positionspapier. Ein „Pflegezukunftsgesetz“ soll analog dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) die rechtlichen Rahmenbedingungen der neuen Anschub- und Regelfinanzierung regeln. Der Knackpunkt an der Sache ist freilich, dass derartige Zukunftsgesetze gerade allenthalben gefordert werden. Auch die Arztpraxen hätten gerne ein „Praxiszukunftsgesetz“.

Um den Nutzen und die Besonderheiten der digitalen Pflege zu veranschaulichen, forderte Maximilian Funke-Kaiser (FDP) jetzt in dem Fall schnell erste Leuchtturmprojekte. Auf die Andersartigkeit der neuen Pflege verwies auch Kordula Schulz-Asche (Bündnis 90/Die Grünen). Digitale Pflege könne mit den neuen Tools oft schon vor der eigentlichen Pflegebedürftigkeit beginnen, betonte sie, die Etablieren von Angeboten in den Kommunen sei wichtig, um das verständlich zu machen. Auch Erich Irlstorfer will möglichst schnell „konkret werden“ und z. B. Regeln für die digitale Lösungen von Pflegeanbietern ausarbeiten. Eine so gestartete Digitalisierungsstrategie müsse sich dann aber in der Tat der Lebenswirklichkeit anpassen und könne nur als „lernendes System“ weiter Erfolg haben. „Der Datenschutz darf eine verbesserte Versorgung nicht behindern“, betonte er.

Kleines Fazit

Alle Parteien begrüßten ganz grundsätzlich den Nutzen der Digitalisierung für die Pflege. Das Thema Datenschutz und auch technische Details ließ man im Großen und Ganzen (lieber) Außen vor. Jetzt soll erstmal gemacht werden, um sich aus den Floskelwolken zu befreien und erste Erfolgsgeschichten zu produzieren.

Letztlich wird sich erst noch zeigen müssen, ob die Digitalisierung die großen Baustellen der Pflege wie Fachkräftemangel, personelle Unterbesetzung und damit die Vernachlässigung pflegebedürftiger Menschen, fehlende Attraktivität und Anerkennung des Berufs oder auch eine chronische Überlastung der Angestellten wirklich lösen kann. Dafür braucht es wissenschaftliche Belege im jeweiligen Einzelfall. Die Erkenntnis, dass Technik nicht einfach so funktioniert, sollte bei den IT-Verantwortlichen im deutschen Gesundheitswesen inzwischen angekommen sein. Das gilt auch für die Politik. Mehr als ein erster Aufschlag war die Veranstaltung von Verbänden und Politik nicht.

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