Archiv des Autors: Christian Schweinfurth

Wie sinnvoll ist eine Alzheimer-Früherkennung? (Pitch)

Alzheimer gilt als größtenteils unverstanden und ist nicht heilbar. Mithilfe neuer Bluttests sowie Apps und Datenanalysen soll die Krankheit neu vermessen und früher erkannt werden. Macht das Sinn?

Es ist eine lange Reise ins Nichts. Und sie beginnt für viele schon dann, wenn sie noch gar nichts davon bemerken. Die Alzheimer-Krankheit kommt auf leisen Sohlen, doch die Folgen sind desaströs. Der neueste Hoffnungsschimmer für knapp 2 Millionen Alzheimer Betroffene allein in Deutschland trägt den Namen Lecanemab, ein synthetischer hergestellter monoklonalen Antikörper, der sich gegen die für Alzheimer typischen Beta Amyloid-Ablagerungen im Gehirn richtet. Zwar wurde der bedeutsame Effekt  des Wirkstoffs statistisch nachgewiesen, doch es herrscht Zurückhaltung darüber, was das genau für die Lebensqualität der Erkrankten im Alltag bedeutet. Außerdem müssen Patienten mit Nebenwirkungen wie vermehrten Mikroblutungen im Gehirn rechnen. Kostenpunkt: geschätzte 26.5000 US-Dollar pro Jahr.

Für eine milde Symptombehandlung mit erheblichen Risiken ist das eine Menge Geld, von Heilung kann weiterhin keine Rede sein. Denn: die eindeutige „Aufschlüsselung“ von Alzheimer im Sinne eines eindeutigen pathophysiologischen „Profils“ oder „Mechanismus“ liegt nach dem aktuellen Stand der Forschung in weiter Ferne. Wissenschaftler streiten über verschiedene therapeutischen Ansatzpunkte. Neben den Amyloid-Beta-Plaques werden z. B. auch oxidativer Stress und veränderte Prozesse bei der Steuerung des Energiehaushalts in den Zellen sowie immunologische Prozesse (z. B. als Reaktion auf Entzündungen) mit der Krankheit assoziiert, alles Zusammenhänge, die im Detail noch längst nicht erforscht sind – womöglich noch eine Aufgabe für Generationen von Forschern. Der „Heureka“-Moment der Alzheimer-Forschung könnte also noch eine Weile auf sich warten lassen.

Neue diagnostische Methoden

Und doch gibt es immer wieder Hoffnung. Aktuell: neue Eiweiß-Biomarker, die sich über eine einfache Blutprobe nachweisen lassen, Proteine neben Amyloid beta mit Kürzeln wie APP, NFL, NSE, VLP-1, HFABP MCP-1 und GFAP sollen die Krankheit neu beleuchten. Sie sollen nicht nur etwas über das Vorhandensein oder das Fortschreiten der Krankheit verraten, sondern gelten als auch relativ praktikable Methode und als deutlich günstiger als die technisch aufwendigen Bildgebungsverfahren CT und PET (Positronen-Emissions-Tomografie) bzw. die Entnahme von Rückenwasser, und sie sind weniger invasiv. Aus den erfassten Protein-Konzentrationen werden dann Risiko-Scores berechnet, die z. B. Aufschluss darüber geben sollen, ob erste kognitive Einschränkungen möglicherweise in eine Demenz münden.

Hinzu kommen neue digitale Tools für eine differenzierte Diagnostik bereits in den eigenen vier Wänden. So entwickelt das Unternehmen neotiv aus Magdeburg kognitive Tests zur Alzheimer-Früherkennung über eine mobile App. Die erfassten Daten werden über eine angeschlossene Web-Plattform ausgewertet. Die Tests fragen wissenschaftlich nachgewiesene Muster kognitiver Alzheimer-Einschränkungen („funktionelle Gedächtnisnetzwerke“, neotiv) ab. Dazu zählen beispielsweise die „mnemonische Diskrimination“ (Fähigkeit zur Unterscheidung schnell aufeinanderfolgender Stimuli, selbst wenn diese sehr ähnlich sind), die Fähigkeit zur Zuordnung von Name und Gesicht oder auch die Fähigkeit zur Vervollständigung von Mustern oder einfachen Zahlen- und Maltests wie TMT (Trail Making-Test). Der aus den digitalen Biomarkern generierte Patientenbericht könnte dann vom Hausarzt entsprechend ausgewertet werden, wie Tobias Bittner von Roche im Rahmen einer Präsentation auf der Bits and Pretzels Healthtech 2023 erläutert. neotiv (gegründet im Jahr 2017 als Spin-off der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)) verweist auf mehrere laufende Studien zur klinischen Validierung der App. Die App ist aber weiterhin nicht als DiGA beim BfArM gelistet, was eigentlich bereits für das Jahr 2021 geplant war. 

Die App wird aber von zahlreichen Krankenkassen im Rahmen von Selektivverträgen erstattet. Kooperationspartner Roche will passend dazu medizinischen Apps und Geräte sog. Plattform- und Disease-Management-Ökosysteme entwickeln, in denen Geräte, Anwendungen, Services und Daten „intelligent“ miteinander kombiniert und ausgewertet werden sollen. Die Aussagequalität solcher Tests könnte in der Berechnung der Wahrscheinlichkeit einer möglichen Erkrankung, der Bewertung des Krankheitsverlaufs oder auch in der Überprüfung des Ansprechens auf eine Behandlung liegen.

Alles Voraussetzungen, um Alzheimer „patientenzentriert“ (neotiv) frühzeitig beim Hausarzt „abklären“ zu lassen und bereits im häuslichen Umfeld „erkennen“ zu können. neotiv wirbt mit einer verbesserten Genauigkeit zu üblichen Batterien neuropsychologischen Tests und einer Entlastung des hausärztlichen Alltags.

Bisher führt der Weg der Abklärung von Alzheimer in der Regel von Pflegenden und Angehörigen oder den Patienten selbst, die erste Auffälligkeiten kognitiver Einschränkungen bemerken, über den Hausarzt zu einem Spezialisten wie einem Neurologen oder Geriater. Das Diagnostik-Spektrum beginnt mit einfachen neuropsychologischen Tests wie MMST, DemTect, TFDD, MoCA oder auch einem Uhrentest, die auch von nicht ärztlichem Personal durchgeführt werden können, z. B. in spezialisierten Gedächtniskliniken (sog. Memory Clinics). Danach folgt die Diagnostik bei einem Spezialisten über den Nachweis von Biomarkern im Blut, einer Untersuchung des Rückenmarkwassers bis zu speziellen CT- und PET-Bildgebungsverfahren, in denen die für die Krankheit typischen Protein-Ablagerungen nachgewiesen werden können.  Auch Gentests  (z. B. auf die derzeit als krankheitsrelevant geltenden Gene Apolipoprotein E (APOE) und Presenilin 1 (PSEN1) können Hinweise auf das Ausbrechen der Krankheit liefern.

95 % der Diagnosen für Alzheimer werden erst ab dem 65. Lebensalter gestellt.

Was wird überhaupt gemessen?

Die klinische Evidenz digitaler Biomarker ist aber noch umstritten, was einerseits wissenschaftliche, aber auch ganz praktische Gründe hat, z. B. weil Tests unbeaufsichtigt von Laien (und potenziell kognitiv eingeschränkten Menschen) durchgeführt werden.

Zum einen bedarf es wissenschaftlich abgesicherter „Endpunkte“, also zweifelfreier Bewertungsmaßstäbe z. B. hinsichtlich der Sensitivität (Prozentsatz richtig erkannter Krankheitszustände insgesamt) und Spezifität (möglichst geringe Zahl falsch positiver Ergebnisse) eines abfragten Werts und seiner Relevanz für einen pathophysiologischen Zustand.

Mehrere Studien zu digitalen Biomarkern (wie (RADAR-AD (Remote assessment of disease and relapse—Alzheimer’s disease), IDEA-FAST (Identifying digital endpoints to assess fatigue, sleep and ADL in neurodegenerative disorders and immune-mediated inflammatory diseases) and Mobilise-D (Connecting digital mobility assessment to clinical outcomes for regulatory and clinical endorsement)), die von der Innovative Health Initiative (IMI), einer Public-Private-Partnership zwischen der EU und der europäischen Life Scienes-Branche, finanziert werden und beispielsweise auf der kontinuierlichen Messung von Schlaf, sozialer Aktivität oder Mobilität (Dauer, Gangart) basieren, suchen genau diese für die Alzheimer-Frühdiagnostik.

Von der Absicherung der klinischen Evidenz (im Alltag) hängt die Überführung in die Regelversorgung ab. 

Für die Datenverarbeitung beim Hausarzt oder für Bluttests müssen auch praktische Fragen, wie z. B. die Möglichkeit zum Kühlen von Blutproben in einer hausärztlichen Praxis oder des Datenmanagements und der Datensicherheit Bedacht werden.

Erfolgreiche Früherkennung nicht nur eine Frage von neuen Tools und diagnostischen Verfahren

Zu berücksichtigen gilt es aber auch ganz menschliche, psychologische Faktoren. Zum einen ist der Verlust von geistiger Leistungsfähigkeit mit einem hohem Stigma verbunden. Betroffene scheuen den Gang zum Arzt und/oder das offene Gespräch mit nahestehenden Personen, um einer eindeutigen Diagnose zu entkommen. Die kleinen „Vergesslichkeiten“ des Alltags werden zur alterstypischen Normalität erklärt. Letzteres kann auch an einem mangelnden Bewusstsein für eine mögliche pathologische Ursache liegen. Selbst wenn Menschen die Diagnose für sich in Betracht ziehen, kann das Wissen über fehlende Heilungschancen und die Aussicht auf die langjährige Einnahme von Medikamenten, eine systematische Abklärung ebenfalls verhindern.

Neue Versuche, den diagnostischen Pfad zu einer erfolgreichen Früherkennung neu zu definieren betonen deswegen auch immer wieder den Wert des sozialen Umfelds. Angehörige und Pflegende sollen kognitive Defizite frühzeitig erkennen können, was aber eine Sensibilisierung für die Krankheit und einen aktuellen Kenntnisstand über die Krankheit erfordert. Die zukünftige „Demenzbetreuung“ soll sich neben dem Hausarzt auch auf speziell geschulte Krankenschwestern und Pflegemanager („memory care enabled workforce“) stützen, wie sie heute teilweise in den Gedächtnisambulanzen bereits arbeiten.

Gerade beim Einsatz von digitalen Tools stellen sich viele methodische Fragen, z. B. wie Betroffene, die vielleicht bereits unter ersten milden kognitiven Defiziten leiden, im Alltag ihren eigenen Geisteszustand selbst zuverlässig überwachen sollen. Eine regelmäßige Anleitung im Alltag wäre mit einem hohen zeitlichen Aufwand verbunden.

Sollten noch keine Krankheitszeichen vorliegen, dürfte die Motivation und auch die Compliance zur regelmäßigen vorsorglichen Kontrolle relativ gering sein, auch wenn sich durch langfristig ggf. eine frühzeitige Diagnose und Therapie erreichen ließe.

Nichtsdestotrotz befördern digitale Tools die Idee sog. „integrierter Versorgungsmodelle“, also der umfassenden Betreuung von Patienten über verschiedene Gesundheitsdienstleister hinweg, und zwar nicht nur diagnostisch/therapeutisch, sondern auch z. B. psychologisch und sozial im Rahmen des Gemeinwesens, und das über den gesamten Krankheitsverlauf hinweg. Auch eine verstärkte Einbindung in klinische Studien (z. B. durch die Bereitstellung von Daten und Feedback über digitale Tools) gehört dazu. 

Bleibt die entscheidende Frage: Wie sinnvoll ist eine Früherkennung für eine Krankheit, für die es überhaupt keine Therapie gibt?

Die therapeutischen Aussichten sind derzeit jedenfalls ernüchternd. So zitiert Prof. Dr. Elmar Gräßel in einem Video-Vortrag zur Debatte zur Alzheimer-Früherkennung aus der aktuellen Demenz-Leitlinie (aus dem Jahr 2016):

„Es gibt keine Evidenz für eine wirksame Pharmakotherapie zur Risikoreduktion des Übergangs von MCI zu einer Demenz.“

„Es gibt keine Evidenz für wirksame nichtpharmakologischeTherapien zur Risikoreduktion des Übergangs von MCI zu einer Demenz.“

Prof. Frank Jessen vom DZNE spricht immerhin von einer signifikanten Verlangsamung des Krankheitsverlaufs bei frühzeitiger Diagnose durch den neuen Wirkstoff Lecanemab.

Betroffene könnten sich laut Gräßel nach einer Frühdiagnose lediglich selbstbestimmter auf die Situation einstellen, so in Summe sein Credo. Das gelte auch für Angehörige. Auch seien „Frühdiagnostizierte“ prinzipiell für die medizinische Forschung interessant, z. B. „bei der Suche nach anderen prinzipiell behandelbaren Ursachen kognitiver Defizite“. Andererseits entstünde durch das Wissen um die Erkrankung aber eine erhebliche seelische Belastung und die Gefahr einer Stigmatisierung in Beruf und Privatleben. 

Von der Idee, selbst einfache neurologische Tests als Alzheimer-Vorsorge zu etablieren, wird in der S3-Leitlinie „Demenzen“ ausdrücklich abgeraten: „Die Anwendung kognitiver Tests, auch kognitiver Kurztests, oder apparativer diagnostischer Verfahren bei Personen ohne Beschwerden und Symptome einzig mit dem Ziel des Screenings für das Vorliegen einer Demenz oder einer Erkrankung, die einer Demenz zugrunde liegen kann, wird nicht empfohlen.“

Genannt werden verschiedene Gründe. Zum einen gelten die Verfahren als zu unspezifisch und wenig aussagekräftig im Hinblick auf die Art und Schwere einer hochdifferenzierten Erkrankung. Das kann eine unnötige Unsicherheit beim Patienten als auch nicht erforderliche, kostenintensive Nachfolgeuntersuchungen nach sich ziehen, wäre also mit einer finanziellen Belastung des Gesundheitssystems verbunden. Die oft unhinterfragte These, dass eine Frühdiagnostik tatsächlich zu Einsparungen im Gesundheitswesen führe, sei also ebenfalls nicht so leicht zu beantworten. Die Leitlinie hält eine Frühdiagnostik jedoch z. B. für beschwerdefreie Personen sinnvoll, bei denen „sicher“ ist, dass sie ein hohes Risiko für kognitive Beeinträchtigungen bzw. Demenzen besitzen. Deshalb plädiert Gräßel bei der „Früherkennung“ für eine Einzelfallentscheidung, und nicht für ein allgemeines „Screening“ von ganzen Bevölkerungsgruppen.

Eine weitere Möglichkeit, einer im Detail noch unverstanden Krankheit Paroli zu bieten sieht Gräßel in der Prävention. Neben einem „allgemeinen gesundheitsförderlichen Lebensstil“ gehöre auch die rechtzeitige Behandlung auslösender Grunderkrankungen, in diesem Fall eine leitliniengerechte Diagnostik und Therapie auslösender Ursachen, die vor allem auf Gefäßerkrankungen zurückzuführen seien, also der Vorbeugung von Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus, hohen Blutfetten, Übergewichtigkeit und Nikotinmissbrauch, aber auch Schlafdefizite, Depressionen oder mangelnde körperliche und geistige Aktivität.

Laut der Demenzforscherin Elisabeth Stögmann von der medizinischen Fakultät in Wien könnten bis zu 40 % der Demenzerkrankungen durch eine entsprechende Anpassung des Lebensstils verhindert werden.

Quellen: 

– „Paving the way for the future of Alzheimer“, Vortrag, Bits and Pretzels Health 2023, Folien von Roche

– „Designing the next-generation clinical care pathway for Alzheimer’s disease“ (Link)

  • „The Future of Precision Medicine in the Cure of Alzheimer’s Disease“ (Link)
  • „Digital endpoints in clinical trials of Alzheimer’s disease and other neurodegenerative diseases: challenges and opportunities“ (Link)
  • „Kontroverse um die Alzheimer-Frühdiagnostik – eine literaturbasierte Übersicht über die Vor- und Nachteile“ (Link, Link)
  • „THE PATIENT JOURNEY IN AN ERA OF NEW TREATMENTS“ (Link)

Auf, auf zu einer neuen Pflege

erschienen in EHEALTHCOM 2_3/22

Auch die Pflege soll jetzt digital werden. Was ist zu tun? Das Bündnis „Digitalisierung in der Pflege“ lud zum politischen Fachgespräch, um den politisch Verantwortlichen auf den Zahn zu fühlen.

Neue Regierung, neues Glück, könnte man pauschal sticheln. Mit Jens Spahn hat die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen bekanntlich an Fahrt aufgenommen. Was löblich klingt, hat aber weiterhin viele Verantwortliche überrumpelt. Das E-Rezept hat der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach erstmal auf Eis gelegt. Zwar läuft der Fast Track, aber die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) haben bei den Leistungserbringern noch nicht so wirklich eingeschlagen, auch wenn sie den Patienten eigentlich nützlich sein könnten. Nichtsdestotrotz sollen in der Pflege auf die DiGA jetzt gleich die digitalen Pflegeanwendungen (DiPA) folgen. So sieht es das Digitale-Versorgung-und-Pflege–Modernisierungs–Gesetz (DVPMG) vor. 

Große politische Einigkeit im Ampel-Spektrum

Die Ampel-Regierung will jedenfalls weitermachen mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen, verspricht im Koalitionsvertrag eine „regelmäßige fortgeschriebene Digitalisierungsstrategie“. Auch das klingt löblich. Die Formulierung bietet aber auch Anlass, um bei den digitalpolitischen Sprechern der Parteien mal etwas genauer nachzuhaken. Genau darum ging es auf der Veranstaltung „Ganzheitliche Digitalisierungsstrategie in der Pflege“.

Eine der zentralen Fragen der knapp einstündigen Veranstaltung war: Wem soll und wird dann die Digitalisierung in der Pflege letztlich nutzen? Den Pflegebedürftigen, den Angehörigen, den Pflegekräften oder am Ende doch wieder „nur“ den Kassen? Weitgehend einig waren sich die Diskutanten bei der angestrebten Entlastung der Pflegekräfte, die wieder mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe gewinnen sollen, „dem Kümmern“ wie es der digitalpolitische Sprecher der SPD Matthias Mieves formulierte. Auch Kordula Schulz-Asche, Mitglied im Ausschuss für Gesundheit von Bündnis 90/Die Grünen, kritisierte die bedrohliche Tendenz, dass die eigentliche Betreuungsaufgabe zunehmend in den Hintergrund rücke. Digitale Lösungen könnten hier helfen, z. B. auch durch neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit der verschiedenen Gesundheitsberufe. Auch sei das Problem des demografischen Wandels im Prinzip „nur digital lösbar“. 

Maximilian Funke-Kaiser, digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, betonte die Vielzahl der möglichen Ansatzpunkte einer digitalen Verbesserung der Pflege, von der Dokumentation, über die Sturzerkennung zu Hause bis hin zum im digital unterstützten kommunalen Quartiersmanagement für eine selbständigere Versorgung von Senioren. Er will die Vernetzung im Gesundheitswesen weiter ausbauen. Eine sichere TI und die Sicherstellung der technischen Interoperabilität seien dafür die Grundvoraussetzung. Auch Erich Irlstorfer, pflegepolitischer Sprecher der CSU-Bundestagsfraktion, möchte vor allem die Pflegekräfte entlasten und eine „sektorenübergreifende Entzerrung“ von Gesundheitsdienstleistungen. 

Es herrschte also im Prinzip Einigkeit, dass kein Weg um die Digitalisierung in der Pflege herumführt. Und auch erste Ideen für eine gezielte Einführung nannten die politisch Verantwortlichen. 

Folgt auf den HIH das KDP?

Matthias Mieves (SPD) stellte klar, dass ohne eine klare nationale Strategie letztlich alle politisch gesetzten Impulse nicht zielführend sein könnten. Er stützte damit das Anliegen des Bündnisses „Digitalisierung in der Pflege“ (getragen von den Verbänden bvitg, DEVAP, DPR , FINSOZ, vediso und VdDD), dessen primäre Forderung die Erarbeitung genau eines solchen nationalen Strategieplans ist. Ein Kompetenzzentrum Digitale Pflege (KDP), einer Organisationsstruktur analog dem health innovation hub, der bis Ende 2021 aktiv war und sich u. a. intensiv um die DiGA gekümmert hat, will das Bündnis als zentrale Koordinationsstruktur und Vernetzungsplattform etablieren. Das KDP soll, analog, zum hih, dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt sein. Dort könnte dann ein interdisziplinär besetztes Team aus hauptberuflich und ehrenamtlich Tätigen, die alle Akteure des Gesundheitssystems repräsentieren sollen, regelmäßig zusammenkommen und im Austausch mit dem BMG, Bürgern, Leistungserbringern oder auch Herstellern z. B. Richtlinien und Leitfäden für die Digitalisierung in der Pflege erarbeiten.

Es zeigte sich, dass eine solche Instanz bei der Ampelkoalition durchaus auf offene Ohren stößt, auch wenn sie im Koalitionsvertrag bekanntlich nicht vorkam. Mieves etwa betonte, dass In einem solchen Kompetenzzentrum „institutionalisierte Best Practices“ ausgearbeitet werden könnten. Außerdem könnten – nach dem Design Thinking-Prinzip – zuvorderst auch die Menschen in der Pflege mit einbezogen werden, die mit einer Lösungen letztlich arbeiten sollen.

Weitere Forderungen des Verbändebündnisses: Eine digitale Kompetenzförderung bei allen Beteiligten, z. B. durch die Überarbeitung von Ausbildungsplänen in der Pflege, soll die Akzeptanz von technischen Lösungen sicherstellen, in den Pflegeheimen aber auch z. B. bei Smart Home Care-Lösungen, mit denen eine digital unterstützte Pflege im häuslichen Umfeld möglich ist. Im Zuge dieser Entwicklung sollen auch ganz neue Berufe entstehen, z. B. der eines „Pflege-Digital-Begleiters“. Schließlich ginge nichts ohne eine „digitale Grundausstattung“, sowohl in den Pflegeeinrichtungen als auch in den eigenen vier Wänden. Deshalb will das Bündnis laut Grundsatzpapier den „digitalen Reifegrad“ von Pflegeeinrichtungen bestimmen lassen. Bis Ende dieses Jahres soll eine entsprechende Analyse vorliegen. Auch hier wird aus dem Vorbild kein Geheimnis gemacht: Die digitale Reifegradmessung ist Gegenstand des DigitalRadar-Projekts, das die Förderung durch das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) begleitet.

Na klar, das Geld

Damit die Pflegeeinrichtungen die infrastrukturellen Voraussetzungen (an)schaffen könnten, fordert das Bündnis „Digitalisierung in der Pflege“ auch eine gesetzgeberische Reform der Finanzierungsmöglichkeiten: „Die Innovationsförderung in ihrer bisherigen Form, unter anderem die in § 68a SGB V für den Bereich der Krankenversicherung festgeschriebenen Vorgaben, setzt in der Breite nicht die erforderlichen Anreize, um innovative digitale Lösungen und Prozesse in der stationären und ambulanten Pflege zu erproben und umzusetzen“, heißt es im Positionspapier. Ein „Pflegezukunftsgesetz“ soll analog dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) die rechtlichen Rahmenbedingungen der neuen Anschub- und Regelfinanzierung regeln. Der Knackpunkt an der Sache ist freilich, dass derartige Zukunftsgesetze gerade allenthalben gefordert werden. Auch die Arztpraxen hätten gerne ein „Praxiszukunftsgesetz“.

Um den Nutzen und die Besonderheiten der digitalen Pflege zu veranschaulichen, forderte Maximilian Funke-Kaiser (FDP) jetzt in dem Fall schnell erste Leuchtturmprojekte. Auf die Andersartigkeit der neuen Pflege verwies auch Kordula Schulz-Asche (Bündnis 90/Die Grünen). Digitale Pflege könne mit den neuen Tools oft schon vor der eigentlichen Pflegebedürftigkeit beginnen, betonte sie, die Etablieren von Angeboten in den Kommunen sei wichtig, um das verständlich zu machen. Auch Erich Irlstorfer will möglichst schnell „konkret werden“ und z. B. Regeln für die digitale Lösungen von Pflegeanbietern ausarbeiten. Eine so gestartete Digitalisierungsstrategie müsse sich dann aber in der Tat der Lebenswirklichkeit anpassen und könne nur als „lernendes System“ weiter Erfolg haben. „Der Datenschutz darf eine verbesserte Versorgung nicht behindern“, betonte er.

Kleines Fazit

Alle Parteien begrüßten ganz grundsätzlich den Nutzen der Digitalisierung für die Pflege. Das Thema Datenschutz und auch technische Details ließ man im Großen und Ganzen (lieber) Außen vor. Jetzt soll erstmal gemacht werden, um sich aus den Floskelwolken zu befreien und erste Erfolgsgeschichten zu produzieren.

Letztlich wird sich erst noch zeigen müssen, ob die Digitalisierung die großen Baustellen der Pflege wie Fachkräftemangel, personelle Unterbesetzung und damit die Vernachlässigung pflegebedürftiger Menschen, fehlende Attraktivität und Anerkennung des Berufs oder auch eine chronische Überlastung der Angestellten wirklich lösen kann. Dafür braucht es wissenschaftliche Belege im jeweiligen Einzelfall. Die Erkenntnis, dass Technik nicht einfach so funktioniert, sollte bei den IT-Verantwortlichen im deutschen Gesundheitswesen inzwischen angekommen sein. Das gilt auch für die Politik. Mehr als ein erster Aufschlag war die Veranstaltung von Verbänden und Politik nicht.

Was passieren muss, damit Senior:innen wirklich im Netz ankommen

Zur Veröffentlichung

Die Impfterminvergabe hat es gezeigt: der Umgang mit (digitaler) Technik kann für ältere Menschen überlebenswichtig sein. Doch auch sonst löst der sichere Umgang mit Internet und Co. viele Probleme im Alltag. Der neue Altersbericht sagt, wie wir die Silversurfer besser mitnehmen.

Hektisches Treiben herrscht in diesen Tagen in den Gemeinden der Bundesländer. Briefe werden verschickt, Sprechstunden vereinbart, mobile Teams sind unterwegs, um ältere Menschen dabei zu unterstützen, die Corona-Ausnahmesituation zu bewältigen.

Und für diese Hilfsmaßnahmen gibt es einen klaren Grund: Denn die Wege zu Testungen und Impfterminen laufen in der Regel über das Internet. Sich digital informieren, die richtige Website aufrufen, Terminmaske auswählen, E-Mail-Bestätigung kontrollieren – was für viele Menschen leicht ist, kann für Silversurfer – also Menschen im Netz über 60 Jahre – noch eine große Herausforderung darstellen.

In der Pandemie wird die digitale Spaltung zwischen Jung und Alt besonders deutlich. Dabei müssten wir eigentlich gerade jetzt, wo wir alle stärker auf das Netz angewiesen sind, mithelfen, um Menschen ohne große Interneterfahrung zu schützen und in Sachen Technik nicht noch weiter abzuhängen.

Kann die Gesellschaft als Ganzes dafür etwas tun?

Die Statistiken machen generell optimistisch und zeigen das Potenzial

Die gute Nachricht lautet: Der Anteil der Senior:innen, die neue Technik nutzen, nimmt seit Jahren beständig zu. Allein während der Coronapandemie im Jahr 2020 stieg der Anteil der Internetnutzung unter 60–69-Jährigen um 4 Prozentpunkte.

Dazu reagieren ältere Menschen erstaunlich positiv auf neue Technik, die wirklich weiterhilft und intuitiv nutzbar ist – etwa Sprachassistenten. Ein Pilotprojekt aus den USA im Jahr 2019 verlief vielversprechend. Dass Menschen im Alter also grundsätzlich wenig technikaffin sind, sei »im Prinzip ein Klischee«, heißt es dort.

Trotzdem sind die Berührungsängste in Deutschland weiterhin ausgeprägt.

Einer Umfrage des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche (Bitkom) aus dem Herbst vergangenen Jahres zufolge wird von fast 70% der Älteren das Internet zwar »als Chance« begriffen, allerdings nutzt nur jeder zweite Mensch über 65 das Internet auch tatsächlich und nur 41% ein Smartphone – also das flexibelste Zugangsmedium. Ganz zu schweigen von möglicherweise coronarelevanten Apps.

Eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung sieht ebenfalls deutlichen Nachholbedarf, analysiert aber auch die Chancen: Darin heißt es, dass es insbesondere mehr digitaler Lernangebote oder »realer Orte« für den Erfahrungsaustausch bedürfe. Auch sei die Kommunikation innerhalb der Familie der größte Motivator, um sich mit digitalen Technologien zu beschäftigen.

Gute Ansätze sind also da. Aber?

Der neue Altersbericht zeigt, wo es wirklich hakt

Seit vielen Jahren wird der Umgang mit neuer Technik für ältere Menschen von der Bundesregierung gefördert. So nimmt etwa im 8. Altersbericht, der vergangenen Monat vorgestellt wurde, die »Digitale Souveränität« ein eigenes Kapitel ein.

Das Problem: In Deutschland herrscht beim Thema digitaler Kompetenzaufbau für Senior:innen vielerorts so etwas wie »Kleckerkultur«, mal etwas flapsig gesagt. Das heißt, über Einzelinitiativen hinaus mangelt es oftmals an einer Strategie zur Überführung von kurzfristig generiertem Wissen in nachhaltige Resultate.

Doch das Thema ist komplex. Das Leben älterer Menschen ist zutiefst facettenreich und jeder Mensch hat andere Bedürfnisse. Diese klar zu definieren und in Einklang mit der rasanten technologischen Entwicklung zu bringen, ist eine der größten Herausforderungen dabei. Ein weiteres zentrales Problem: die Verstetigung. In den »letzten 2 Jahrzehnten« sei eine Vielzahl von Initiativen und Angeboten »auf lokaler Ebene« geschaffen worden, »zahlreiche niedrigschwellige Angebote, die einen engen Bezug zum jeweiligen Sozialraum aufweisen und oft vom freiwilligen Engagement älterer Menschen getragen werden«, schreiben die Autor:innen. Seniorenbüros zum Beispiel. Insgesamt sei die »Landschaft dieser Angebote aber heterogen, unübersichtlich und instabil«, räumen sie ein.

An anderer Stelle wird die Kritik noch deutlicher: In einem Positionspapier des Fachbeirats Digitalisierung und Bildung älterer Menschen* wird nüchtern konstatiert, es gebe schlichtweg zu viele »Projektruinen«. Viele Projekte liefen nach Ende der Förderung einfach aus, ohne dass die Gesellschaft als Ganzes langfristig davon profitiere.

Beispiel gefällig? Von 22 in den Jahren 2014–2016 geförderten Technikberatungsstellen sind nach Auskunft des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) noch ungefähr die Hälfte in ihrer ursprünglichen Form aktiv**. Als diese Beratungsstellen eingeführt wurden, glaubte man auch noch im großen Stil an die Idee des technikgestützten Wohnens (Ambient Assistent Living, kurz: AAL). Doch am Ende wollte praktisch niemand für diese Lösungen zahlen, weder die Wohnungswirtschaft noch die Krankenkassen. Auch bei den Senior:innen war die Resonanz äußerst verhalten.

Was also ist zu tun?

Ein neuer Ansatz: Das direkte soziale Umfeld digital kompetent machen

»Organisationen, Institutionen und Netzwerke müssen Lern- und Unterstützungsangebote zur Entwicklung digitaler Kompetenzen bereitstellen. Wenn bei älteren Menschen die Bereitschaft vorhanden ist, digitale Technologien zu nutzen, sie sich das dazu nötige Wissen jedoch nicht alleine aneignen wollen oder können, sollen sie auf solche Angebote zurückgreifen können«, ist im Altersbericht der Bundesregierung zu lesen.

Eigeninitiative trifft auf Angebot, so die Losung – aber wie könnte das konkret aussehen?

Birgit Apfelbaum, Mitglied der Altersberichtskommission der Bundesregierung, plädiert zum Beispiel für eine engere Abstimmung zwischen Ehren- und Hauptamt. »Vom Kern der lokalen, kommunalen Ebene in die Breite gehen«, heißt ihre Idee.

Es geht also darum, die digitalen Unterstützungsangebote direkt in der Bezugswelt der Senior:innen zu verankern. Denn in der Lebensrealität älterer Menschen geht es beim Thema Technik schließlich oftmals nur um eine sehr einfache Frage: »Wer kann mir helfen – und zwar jetzt?«

Der Sachverständigenrat der Bundesregierung schlägt etwa vor, das Bewusstsein für einen altersgerechten Umgang mit digitalen Technologien auch in den Ausbildungscurricula von Berufen zu verankern, die sich direkt auf die Lebenswirklichkeit von älteren Menschen auswirken. Das können Angehörige, Pflegekräfte oder auch der Bankberater sein, der über die Eröffnung und Nutzung von Onlinebanking aufklärt.

Denkbar wären auch Initiativen aus der Privatwirtschaft, zum Beispiel eine zusätzliche Unterstützung seitens der Elektronikfachmärkte. Die gibt es in der Tat schon. So bieten etwa Mediamarkt und Saturn in vielen Filialen spezielle Weiterbildungen für Senior:innen an. Auch die Gerätehersteller selbst, wie der Senioren-Smartphone-Hersteller Doro, haben offenbar die direkte »Seniorenberatung« als Wettbewerbsvorteil für sich ausgemacht, hier in Form einer Telefonhotline.

Einzeln für sich dürften diese Ansätze nur bedingt helfen. Zusammen aber könnten sie genau die Vielzahl von Unterstützungshilfen ergeben und zu einem generellen Umdenken führen – nicht nur unter den Silversurfern, sondern vor allem auch unter den Digital Natives (allen, die mit dem Netz aufgewachsen sind): Wir müssen uns klarmachen, wie viel Hilfe viele Silversurfer aktuell noch brauchen, und jederzeit bereit sein, unsere Eltern oder Großeltern auf ihrem Weg ins Netz zu begleiten. Gerade in Zeiten, in denen ohne Internet sonst ein Abgeschnittensein vom öffentlichen Leben droht.

Das Ziel ist nichts anderes als ein alltagsnaher digitaler Rat in allen Lebenslagen, jederzeit verfügbar, eine Rund-um-die-Uhr-Servicementalität, die für die Jungen im Netz längst selbstverständlich geworden ist.

//So könnte es funktionieren: Medien- und Techniklotsen in Hannover: In Hannover kommen Medien- und Techniklotsen nach Terminanfrage direkt in die häusliche Umgebung von Senior:innen (ob ins Altenheim oder in die eigenen 4 Wände). Dort beraten sie sie direkt am Gerät. Das Team dazu besteht aus rund 30 Ehrenamtlichen.//

*Der Rat ist an die bundesweite Servicestelle »Digitalisierung und Bildung für ältere Menschen« angegliedert)

**Man verweist auf Anschlussprojekte wie das Innovationsnetzwerk »Vernetzte Technikberatung und Techniknutzung« mit seiner Webpräsenz »Innovativ altern«, das nicht nur ein weiteres Reallabor in Form einer Musterwohnung umfassen soll, sondern auch eine bundesweite Organisationsstruktur für Seniorentechnikberater und Technikberatungsstellen sein will. »Die aus einer Förderung des BMBF hervorgegangenen Kommunalen Beratungsstellen (KBS) existieren in ganz unterschiedlichen Formen und Institutionen weiter und sind daher nicht 1:1 über den Namen nachverfolgbar«, heißt es aus dem BMBF.

zuletzt aktualisiert: 21.05.21, 17:21 Uhr

Das hat Deutschland jetzt mit deinen Daten vor

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Daten sind zu einem gewaltigen Wirtschaftsfaktor geworden – und werden in Zukunft in noch größeren Mengen fließen. Doch nach welchen Regeln? Mehr Souveränität verspricht das Prinzip der Datentreuhandschaft.

Du klickst auf eine Website, möchtest nur schnell etwas überfliegen und schon poppt eine ellenlange Datenschutzerklärung auf, die du lesen und annehmen sollst. Genervt klickst du auf »Zustimmen« und denkst nicht weiter darüber nach.

Immerhin zwingt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) seit 2018 die Unternehmen dazu, uns mittlerweile überhaupt zu fragen. Doch was sich nicht geändert hat: umfangreiches Sammeln und Verwerten. Youtube speichert geklickte Videos, Google wertet Suchanfragen aus und Facebook erstellt ganze Beziehungsnetzwerke mit Interessen-Überschneidungen. Dabei greifen sie immer stärker in unsere Persönlichkeitsrechte ein. Und das gilt nicht immer nur für die großen Tech-Player, sondern kann auch für jede noch so kleine App zutreffen.

//»Wem gebe ich meine Daten und wozu?« ist vielleicht eine der wichtigsten Fragen des 21. Jahrhunderts.//

Und wem diese ausgewerteten Daten zur Verfügung gestellt werden, etwa um Werbung zu treiben, Daten aus verschiedenen Quellen miteinander zu verknüpfen und/oder uns politisch zu beeinflussen, darüber haben Nutzer:innen trotz DSGVO kaum Kontrolle. Fakt ist: »Souverän« sind wir kaum noch, wenn es um unsere Daten geht – mit nur einem ungeduldigen Klick lassen wir das alles sausen.

»Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus« nennt das die Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff in ihrem gleichnamigen Buch diese Praxis des bedingungslosen Datensammelns durch große Tech-Konzerne und die Prinzipien der dahinter stehenden Plattformökonomie, die uns als User:innen in unseren alltäglichen Entscheidungen zunehmend entmündigt. Dabei wächst das Unwohlsein, diese »Übergriffe« weiter uneingeschränkt zu akzeptieren.

Doch was lässt sich gegen globale Milliarden-Unternehmen schon tun?

Der Data Governance Act der EU und auch die neue Datenstrategie der Bundesregierung wollen nun neue »innovative Datenräume« schaffen*. Anders gesagt: Eine neue Form der Datenökonomie soll her, die anders funktioniert als nach den Regeln, die die Start-up-Konzerne aus dem Silicon Valley dem Rest der Welt übergestülpt haben. Und für diese neue Kultur will man eben auch an anderer Stelle ansetzen als nur bei AGB-Klauseln.

Mehr Kontrolle

Shoshana Zuboff stellt in ihrem Buch (indirekt) eine ganz grundsätzliche und zugleich provokante Frage: »Wo fängt unsere Datensouveränität eigentlich an?« und beschreibt, wie das von den Konzernen beherrschte Internet heute darauf ausgelegt ist, uns genau diese zu nehmen**. Gegenüber vielen dieser »Übergriffe« sind Endnutzer:innen überfordert, uninformiert oder haben schlichtweg keine Alternativen. Denn wer kann ernsthaft einen Bogen machen um Google, Facebook, Amazon oder Apple?

Die gute Nachricht ist: Dass man die Bürger:innen vor solchen Datenmonopolen schützen oder zumindest neue Gegengewichte schaffen muss, ist in der Politik bereits angekommen. Dazu gehören auch neue technische Ansätze, womit Prinzipien wie die Datensouveränität zum Beispiel über die technischen Verteilungsregeln von Daten auf Plattformen neu definiert werden können. Eine Lösung könnte das Konzept der Datentreuhandschaft sein.

//Warum Facebook und Co. so erfolgreich sind: Der Erfolg großer Plattformen hängt direkt mit der Übergriffigkeit zusammen. Denn wer die meisten Daten hat und diese geschickt auszuwerten weiß, der hat in der neuen Datenwirtschaft oft auch einfach das bessere Produkt.//

Neue Regeln für den Datenstrom

Ein sogenannter »Datentreuhänder« soll – das geht aus der Datenstrategie der Bundesregierung hervor – vor allem Vertrauen schaffen und als Vermittler zwischen 2 oder mehreren Parteien die Daten miteinander austauschen. Er soll dabei die Komplexität übernehmen, die ein sicherer und gezielter Austausch von Daten mit sich bringt und dabei auch auf die unterschiedlichen Interessen verschiedener Akteure achten.

//Daten werden in Zukunft überall in immer größeren Mengen entstehen und sie zu verwalten ist für alle Länder überlebenswichtig. Das hat die Bundesregierung erkannt.//

Zugegeben, das klingt alles noch sehr vage und abstrakt. Machen wir es an einem Beispiel konkreter: Fahrzeugdaten***.

Daran könnte eine Vielzahl von Akteuren Interesse haben. Hersteller wollen damit ihre Produkte verbessern. Eine Versicherung möchte daraus Preise und Tarife berechnen. Das Bundesverkehrsministerium möchte das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung analysieren, um Forschungsgelder besser anzulegen. Auch sekundäre Dienstleister wie etwa Car-Sharing-Dienste könnten die Daten für ihr Unternehmen auswerten wollen.

Hier käme ein Datentreuhänder ins Spiel. Wer das Auto besitzt, überträgt ihm den Zugriff auf Dokumente und Daten des Wagens. Der Treuhänder kann sich dann mit Genehmigung auch Daten von Ämtern und anderen Stellen einholen – und sie mit entsprechender Erlaubnis (etwa »Diese Daten nur mit der Wissenschaft teilen«) an Anfragende weitergeben. Und das Ganze – ein wichtiger Punkt dabei – pseudonymisiert. Das heißt, dass die Fahrzeugdaten nicht mehr dem Halter zuzuordnen sind. Das schützt die Privatsphäre, garantiert aber auch, dass sich Datensätze weiterhin zusammenhängend (also zum Beispiel über einen längeren Zeitraum und mit einer klaren Zuordnung zu einer Personenentität) auswerten lassen. Dazu könnte ein Datentreuhänder den Wagenhaltenden transparent machen, wer aktuell in welchem Umfang die eigenen Daten nutzt.

Und wie könnte so ein »Datentreuhänder« ganz konkret aussehen?

Ein Treuhänder kann vieles sein

Im Prinzip handelt es sich bei Datentreuhändern um eine besondere IT-Organisationsstruktur. Organisieren ließe sich das sowohl als öffentlich-rechtliche Einrichtung als auch als Privatunternehmen mit entsprechender Software.

//Anforderungen an einen Datentreuhänder: Er muss die Datenschutzbestimmungen (nach DSGVO) einhalten, Daten gezielt aufbereiten und die Identität aller Beteiligten sowie ihre Berechtigungen zweifelsfrei sicherstellen. Eine enorm komplexe Aufgabe!//

Im Gesundheitswesen gibt es das Konzept schon – wenn auch nur in rudimentärer Form. Dabei geht es meist »nur« darum sicherzustellen, dass die Privatheit der Daten über alle Akteure hinweg gewährleistet ist. So hat für das deutsche Gesundheitswesen zum Beispiel das estnische Technologieunternehmen Nortal Vertrauensstellen für das Transplantationsregister und das Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) realisiert, damit Patientendaten bundesweit klinikübergreifend sicher ausgetauscht werden können.

Auch beim geplanten Forschungsdatenzentrum für Gesundheitsdaten der Bundesregierung sollen die Gesundheitsdaten der gesetzlichen Krankenkassen zuerst an eine »Vertrauensstelle« fließen, die am Robert Koch-Institut eingerichtet werden soll, bevor sie an das eigentliche Forschungsdatenzentrum gehen. Das Ziel: maximale Auswertbarkeit bei maximaler Anonymität durch einen Datentreuhänder****.

Das ist schön gedacht, aber in der Praxis durchaus kompliziert, wie Teamleiter Entwicklung Jörg Müller von Nortal erläutert:

„Momentan gibt es an sehr vielen Stellen Nachholbedarf in Sachen Berücksichtigung von Datenschutzaspekten. […] Da Datenschutz mit Aufwänden verbunden ist, stößt das Thema auf viele Widerstände. Viele verschiedene Datenlieferanten verursachen zudem immer Aufwand bei der Anbindung ihrer Systeme an einen zentralen Datentreuhänder. Häufig liegen die gleichen Daten bei verschiedenen Lieferanten in jeweils unterschiedlichen Formaten vor, die dann alle harmonisiert werden müssen.“

Und hier zeigt sich ein weiteres Problem: Ein gutes Geschäftsmodell gibt es für die ominöse Instanz des Datentreuhänders nämlich noch nicht.

Erste private Anbieter gibt es zwar wie digi.me oder idento.one. Doch hier privatwirtschaftlichen Unternehmen das Feld zu überlassen könnte sich als Risiko herausstellen. Denn gerade Best-Practice-Modelle zu entwerfen wäre eigentlich Sache der Wissenschaft.

Das sieht auch der Bund teilweise so und fördert seit Januar 2021 neue Datentreuhandmodelle in der Forschung. Geplant ist etwa ein eigener Ideenwettbewerb. Währenddessen arbeitet die Politik weiter am den rechtlichen Rahmenbedingungen*****.

Klar ist nur, dass man in Deutschland und in der EU beim Thema Datensouveränität neue Wege gehen will. Dabei könnte ein noch vager und zugegeben piefiger Begriff wie »Datentreuhandschaft« tatsächlich zu einer neuen Datenkultur führen, wovon am Ende alle profitieren.

*Sowohl für Unternehmen und den Staat, aber auch für zivilgesellschaftliche Akteur:innen in Deutschland und Europa.

**Zuboffs Buch ist Wirtschafts- und Kulturkritik zugleich, an einer Datenökonomie, die sich an vielen Stellen unseres Internetalltags längst manifestiert hat. Das können schon ganz kleine Dinge sein: eine Bevormundung durch undurchsichtige Cookies im Browser etwa, Anti-Werbeblock-Maßnahmen auf Websites oder das bedingungslose Hochladen von Daten in die Cloud, obwohl sich viele Datensätze theoretisch auch auf dem eigenen Smartphone verarbeiten ließen, wie es zum Beispiel das Prinzip des Edge Computing vorsieht.

***Also alle Daten aus der Haltung und dem Betrieb eines Autos, von der Fahrtenschreiber-Software über den Kilometerstand bis zur An- und Abmeldung.

****Durch die Einbindung eines Intermediärs, der zwischen den Interessen verschiedener Parteien (Versicherte, Krankenversicherung, Wissenschaftler) vermittelt.

*****Die dann etwa Qualitätskriterien sowie Akkreditierungs- und Zertifizierungskonzepte regeln.

Elektronische Patientenakte: Schlägt jetzt die große Stunde der Healthcare-Startups?

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Die elektronische Patientenakte gilt als Schlüssel für die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens. Sie könnte einiges ins Rollen bringen – aber nur, wenn die Frage der Datensouveränität geklärt ist.

Ab dem 1. Januar 2021 müssen die gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten eine elektronische Patientenakte (Epa) bereitstellen. Versicherte können dann ihre medizinischen Dokumente im Rahmen der Telematik-Infrastruktur aufbewahren und für Ärzte und Gesundheitseinrichtungen freigeben. So sollen sowohl Versicherte als auch Ärzte und andere therapeutische Berufe die eigene Krankengeschichte konsistent nachvollziehen können. Das Projekt hat eine lange Geschichte und ist in vielen Details weiterhin stark umstritten. So hat der Bundesdatenschützer Ulrich Kelber die Kassen zuletzt deutlich ermahnt, dass das geplante Zugriffsmanagement der Akte nicht DSGVO-konform sei.

Für das Vertrauen der Versicherten in die Akte wird insbesondere die Rolle der Sicherheit eine zentrale Rolle spielen. Frei im Internet flottierende Gesundheitsdaten können einem persönlichen Albtraum gleichen und machen erpressbar. Die Epa soll sukzessive weiterentwickelt werden, sodass zum Beispiel weitere medizinische Leistungserbringer wie Physiotherapeuten oder Hebammen angebunden werden oder Versicherte ihre Daten für Forschungszwecke freigeben können. Eine funktionierende und akzeptierte Epa ist also quasi die Basisstruktur für eine konsequente weitere Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens – die gerade erst begonnen hat.

Pimp my Krankenkasse

App statt Filiale? Kennt heute fast jeder. Kaum eine der großen gesetzlichen oder privaten Krankenkassen verzichtet auf eine, schon allein, um im Alltag, der sich (vor allem bei der Jugend) immer mehr auf dem Smartphone-Bildschirm abspielt, sichtbar zu sein. Apps, die für die Versicherten bequem sind und Papier und Laufwege einsparen sollen: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Rezepte und andere Dokumente lassen sich unbürokratisch an die Krankenversicherer übermitteln. (Video-)Chat-Funktionen ermöglichen den direkten Kontakt zur Servicestelle.

Darüber hinaus arbeiten vielen Krankenkassen mit sogenannten Bonus-Programmen und entsprechenden „Bonus-Apps“, in denen Versicherte gesundheitsvorsorgende Maßnahmen, von Vorsorgeuntersuchungen bis zur täglichen Anzahl der zurückgelegten Schritte nachweisen können. Dafür winken Prämien. Das digitale Bonusheft zusagen – in der Extended Edition.

Gesundheits-Coaching in den eigenen 4 Wänden

Mit digitalen Lifestyle-Angeboten schicken sich die Krankenkassen zudem zunehmend an, Mitglieder beim Thema Gesundheitsvorsorge direkt zu Hause abzuholen. So bietet beispielsweise die AOK Apps gegen Rückschmerzen, zur Geburtsvorbereitung, für Entspannungsübungen oder auch zur Behandlung von Depressionen an. Hinzu kommen Online-Programme für Sport, Ernährung oder das Stressmanagement für pflegende Angehörige. Mit dem Alexa-Skill „Große Entdecker“ will die AOK auch schon die kleinsten Versicherten über allgemeine Gesundheits- und Körperfunktionsfragen aufklären.

Die Barmer bietet „Cyberfitness“ und einen Online-Kurs zum Abnehmen sowie Apps für Schwangere und gegen Rückenschmerzen. Auch ein Meditationsprogramm, spezielle Knieübungen und der Amazon-Skill „Schlafenszeit“ sind mit dabei. Die TK hat Apps zum Allergie- und Migränemanagement im Programm. Alle diese digitalen Leistungen sollen vornehmlich der Gesundheitsprävention dienen. Und sie liefern potenziell Daten.

Von der App über die Epa zum breiten Versorgungsmodell?

Angesichts der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung im deutschen Gesundheitswesen ist es aus „Unternehmenssicht“ nur folgerichtig, dass einige deutsche Krankenkrassen bereits damit begonnen haben, über die Versprechen der sogenannten „Datenmedizin“ nachzudenken, so die AOK Plus in Thüringen und Sachsen im Rahmen einer Studie des Trendforschungsinstituts 2bAhead (erschienen im Januar 2018).

Ein mögliches Szenario aus der Studie: „Heutige Krankenversicherungen werden zu prädiktiven Gesundheitsförderern. Sie finanzieren nicht nur bereits aufgetretene gesundheitliche Defizite, sondern handeln massiv datenbasiert, automatisiert – in Echtzeit und prädiktiv. Sie entwickeln Strategien, um die ihnen anvertrauten Daten intelligent auszuwerten und in adaptive Services für ihre Gesundheitskunden zu übersetzen.“

Das sind „nur“ die Aussagen einer Trendstudie, aber mit der Bewilligung von sogenannten „Versorgungsinnovationen“ hat der Gesetzgeber bereits Fakten in diese Richtung geschaffen. Und die gesetzliche Kassen dürfen für diese Angebote auf Versichertendaten zugreifen, in Ausnahmefällen (zum Beispiel für Qualitätssicherungen nach § 299 Abs. 1 Satz 5 Nr. 2 SGB V), auch in nicht-pseudonymisierter Form. Auch können Versicherte der Unterbreitung dieser Art von Angeboten widersprechen. Die ersten Klagen vor dem Bundesverfassungsbericht sind bereits eingegangen.

Entscheidend für die Qualität einer neuen Gesundheitsversorgung werde die Qualität der erfassten Daten sein, heißt es in der Trendstudie – über die die Kunden souverän bestimmen sollen: „Der Türöffner für individualisierte und präventive Medizin ist in Zukunft die Zugriffserlaubnis auf die eigenen Gesundheitsdaten, welche einen größeren Einfluss auf die Qualität der Gesundheitsversorgung hat als das Einkommen“, schreiben die Autoren.

Auch eine Studie der Wirtschaftsberatung Deloitte (erschienen im Februar 2019) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Was als einfache App beginnt, hat das Potenzial, sich mehr immer zu einem breiteren Versorgungsmodell zu entwickeln: „Aufgrund der zahlreichen datenbasierten Verfahren sind im Zuge der Digitalisierung viele Analyse- und Steuerungsmöglichkeiten wie zum Beispiel KI-basierte Analyse-Tools als ‚Decision-Support-Systeme‘, Patienten-Selbstdiagnosen über ‚Symptom-Checker‘ sowie die telemedizinische Versorgung entstanden. Sie bieten im Falle der Datenaggregation und -zusammenfassung das Potenzial, auf Patientenebene populationsbezogene Versorgungsmodelle, personalisierte Behandlungsmethoden und prädiktive Screeningmaßnahmen zu entwickeln.“

Die Autoren sehen die Zusammenführung von Daten „sowohl auf Patienten- als auch auf Populationsebene“ dabei als entscheidenden „Werttreiber“.

Eine Chance, meinen die Autoren, und fordern gesetzliche Krankenkassen auf, sich bei den digitalen Services entsprechend aufzustellen, auch, weil zunehmend Health-Startups und auch die großen IT-Konzerne wie Google oder Apple das Thema der Gesundheitsversorgung für sich entdeckt haben: „Insbesondere B2C-/B2P-fokussierte Anbieter haben mittels offener Plattformen sowie integrierter Ansätze das Potenzial, in direkte Konkurrenz zu Angeboten von gesetzlichen Krankenkassen (zum Beispiel elektronische Gesundheitsakte) sowie der Regelversorgung zu treten.“

Auf die Epa können die Krankenkassen übrigens nicht zugreifen. Allerdings können die Krankenkassen die Epa um eigene Services erweitern – und dort eigene Daten „hinzufügen“. So spielt die AOK in die von ihr bereitgestellte Epa „Mein Leben“ eigene Abrechnungsdaten ein, aus denen Versicherte ihre Gesundheitshistorie ersehen können, wie Pressesprecher Peter Willenborg erklärt.

Startups als Innovationstreiber

Es ist eine Entwicklung, die sich schon länger abzeichnet: Gesundheit ist längst nicht mehr nur eine Sache des primären Gesundheitssektors. Startups liefern Innovationen. Oft auch mit dem Ziel, ihre Produkte in die gesetzliche Gesundheitsversorgung zu drücken. Und genauso will es der Gesetzgeber ja auch. Das im 19. Dezember 2019 in Kraft getretene Digitale Versorgung Gesetz zielte ausdrücklich darauf ab, die großen Hürden für Healthcare-Startups für einen Übergang in die Regelversorgung zu senken und so ein motivierendes Marktklima für neue Startups zu schaffen. Die ersten durch das BfArM zertifizierten Digas sind ein erstes Zeugnis davon.

Nicht umsonst beginnt digitale Innovation bei den Krankenkassen oft in Form von Kooperationen mit Startups, so zum Beispiel bei der Barmer, die die Rücken-App Kaia in ihr Portfolio aufgenommen hat, die aber bisher vom BfArM noch nicht zertifiziert wurde, oder die AOK mit Cyberconcept für Online-Kurse zu Nichtrauchen oder Ernährung.

Neue Rollenbilder oder zunehmende Privatisierung des deutschen Gesundheitswesens?

Wo fängt die neue Gesundheit also an? Die sogenannte „digitale Medizin“ zeichnet sich vor allem durch eine zentrale Eigenschaft aus: Sie generiert Daten an Orten wo bisher keine waren. Aus diesen Daten lassen sich medizinische Erkenntnisse ableiten. Wenn man sie denn zu nutzen weiß. Wer wird sie auswerten? Apple? Google? Das Startup für die Rückenschule? Oder doch die DAK? Und wo wandern die Daten überall hin?

Die Krankenkassen sitzen jedenfalls auf einem Berg an Gesundheitsdaten ihrer Mitglieder. Eine intelligente Analyse dieser Daten und in Form von dezidierten Services zurückgespielt an die Versicherten, könnte gänzliche neue Präventionskonzepte zu Tage fördern. Wenn die Versicherten denn einwilligen. Den Versicherungen könnte das Geld sparen. Weil Krankheiten erkannt werden, bevor sich irgendein Schmerz überhaupt erst manifestiert, bevor wir überhaupt erst zum Arzt gehen, oder auch nur daran denken, zum Arzt zu gehen. Ist unser wahrer Schutzengel in Zukunft vielleicht ein sorgfältig gepflegter Gesundheitsdatens(ch)atz, den wir hüten wie die seltenste Briefmarke der Welt? Oder lauert die Gesundheitsdiktatur direkt am Handgelenk?

Die Frage der Datensouveränität wird eine entscheidende Rolle spielen. Damit sich der Gesundheitsdatenstrom – aus welcher Richtung er auch fließen mag – sich nicht zur halsbrecherischen Welle entwickelt.

„Wir machen aus Gesundheitsdaten niemals ein Geschäftsmodell“

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Die private Krankenversicherung will bei einem einheitlichen, digitalen Gesundheitswesen nicht außen vor bleiben. Doch viele Anforderungen sind anders als in der GKV-Welt. Wir haben Annabritta Biederbick und Roland Weber, Vorstände des PKV-Marktführers Debeka, um eine Bestandsaufnahme gebeten.

Herr Weber, über die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen wird derzeit viel gesprochen. Was bedeutet das konkret im Alltag einer privaten Krankenversicherung?

Roland Weber: Erstmal sind wir froh, dass es wieder vorangeht. Als PKV waren wir ja schon mal Gesellschafter der gematik. Weil es dort aber immer einen Patt zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern geben hat, sind wir da nicht weitergekommen. Deswegen sind wir als PKV ausgestiegen. Wir sind jetzt wieder dabei, weil wir gesehen haben, dass Jens Spahn sich bemüht, dass wir endlich vorankommen. Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung die Mehrheit an der gematik übernommen hat, um Nägel mit Köpfen zu machen und wir endlich die verlorene Zeit aufholen können. Schwieriger wird es für uns bei der Frage, inwieweit die PKV so bindend mitmachen kann wie die GKV. Letztlich kann Jens Spahn immer nur Gesetze für die gesetzliche Krankenversicherung erlassen.

Annabritta Biederbick: Als PKV sagen wir: Wenn wir Digitalisierung wollen, dann müssen uns an die Datenautobahnen der GKV anschließen, denn wir sind zu klein, um eine eigene Infrastruktur aufzubauen. Der gesamte PKV-Versicherungsmarkt ist gemessen an der Mitgliederzahl ja kleiner als die Techniker Krankenkasse. Der Gesetzgeber kann die PKV und die Privatärzte und gerade auch die Versicherten nicht so einfach verpflichten, diese technische Infrastruktur zu benutzen, weil wir in dem SGB V-System nicht so drin sind. Deswegen ist das bei uns eine Freiwilligkeit. Umso wichtiger ist es für uns, die Infrastruktur der GKV zu benutzen, denn wenn ein Arzt diese für die gesetzlich Versicherten benutzt, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er die gleichen Prozesse auch für die Privatversicherten anwendet. Wie werden unsere Mitglieder oder Kunden aber nicht nur mit der ePA, die momentan noch nicht viel kann, begeistern können. Um sie wirklich zum Mitmachen zu bewegen, werden wir noch zusätzliche Dienste draufsetzen müssen. Natürlich ist die ePA auch für GKV-Mitglieder freiwillig, aber das Konzept ist fester im SGB V-System verankert. Allgemein gilt, dass so ein E-Health-Konzept ja oft nur dann Sinn macht, wenn möglichst viele mitmachen. Hier können wir uns z. B. eigene Use Cases vorstellen. Ich möchte an dieser Stelle gleich ein Beispiel geben für die Besonderheiten in der PKV. Wenn sich die PKV an den gematik-Prozess des E-Rezepts der GKV andockt, dann hört der Prozess in der Apotheke auf, wenn der Versicherte das Medikament bekommt. Bei uns ist aber noch der ganze Erstattungsprozess mit dran. Den interessiert aber die GKV nicht. Das heißt, wir müssen sehr viel mehr draufsetzen als die GKV, unabhängig von gematik, um gute Use Cases hinzubekommen. Also, wir sehen die Entwicklung ingesamt sehr positiv, aber wir werden die Versicherten überzeugen müssen, durch wirklich smarte Anwendungen.

Gibt es denn schon Partner und einen Zeitplan für die konkrete Ausgestaltung der ePA?

Roland Weber: Um es gleich vorwegzunehmen: Ich halte aus IT-Sicht das Konzept einer ePA, die noch auf dem Konzept einer physischen Karte basiert, für nicht mehr zeitgemäß. Ich wünsche mir stattdessen moderne Smartphone-Anwendungen für den Zugang zur Telematikinfrastruktur. Ob das möglich ist, ist allerdings noch offen. Ich hoffe, dass wir beim Thema der alternativen Identitäten schnell weiterkommen, über den Gesetzgeber, über das BSI.

Annabritta Biederbick: Was den Zeitplan angeht. Im PKV-Verband gibt es ein großes gematik-Projekt, in dem notwendige Prozesse, die dem vorgelagert sind, z. B. dass jeder Versicherte eine Krankenversicherungsnummer bekommt, aufgebaut werden. Als Debeka überlegen wir jetzt, wie wir dieses Projekt am besten aufziehen und wie wir unseren Versicherten diese Anwendungen am besten zur Verfügung stellen können. Ein naheliegender Weg wäre über unser Gesundheitsportal „Meine Gesundheit“, das wir vielen Versicherten anbieten und auch noch ausbauen wollen, auch in Zusammenarbeit mit der CompuGroup und anderen großen privaten Krankenversicherern wie der Axa, der Huk oder auch der Bayerischen Beamtenkrankenkasse. Aus Versichertensicht wäre es naheliegend, dass das Gesundheitsportal und ePA mit ihren Anwendungen und auch die anderen TI-Anwendungen in einem gemeinsamen Frontend zur Verfügung stehen. Einen ganz festen Zeitplan haben wir aber noch nicht, weil wir noch eine gewisse Sicherheit in der Gesetzgebung abwarten. Schaffen wie eine Gesundheitskarte an oder nicht? Das sind schon große Prozesse bei der Debeka, allein der Kartenausgabeprozess. Aber natürlich stemmbar. Das muss in die Planungen einfließen. Also, es gibt noch keinen festen Zeitplan, aber wir sind am Planen.

Eine aktuelle Debatte dreht sich um die Kriterien im Rahmen der Zertifizierung der DiGAs beim BfArM, z. B. im Hinblick auf den medizinischen Nutzen oder auch die Preisbildung. Die privaten Krankenversicherer haben ein eigenes Zulassungsverfahren ins Spiel gebracht. Warum?

Annabritta Biederbick: Im Detail muss man da natürlich genau hinsehen. Die DiGAs sind bei uns ein großes Thema, auch getrieben durch das Gesetz. Was wir beobachtet haben im Rahmen von Versorgungsprogrammen, die wir unseren Versicherten haben zugute kommen lassen, ist, dass sich durch die neuen Möglichkeiten der GKV-Erstattung die Preise der DiGAs teilweise verzichtfacht haben. Das ist für einen Kostenträger natürlich sehr, sehr unschön, wenn er ein smartes Tool entdeckt, das seinen Versicherten nützt und das er gerne zur Verfügung stellen möchte. Und allein aus dem Grund, dass sich daraus ein größerer Markt ergibt, die Preise angehoben werden. Wir haben deswegen auch schon Tools aus Versorgungsprogrammen rausgenommen und was Alternatives reingetan. Da fragt man sich natürlich schon, ob die Preisgestaltung da richtig ist und man vielleicht noch regulieren muss.

Die PKV muss sich in diesem Punkt auch immer die Frage des Wettbewerbs stellen, des Wettbewerbs zur GKV. Die GKV ist bei den DiGAs natürlich vorgeprescht, durch die Gesetzesinitiativen von Jens Spahn. Und die DiGAs werden ja auch bezahlt, wenn sie das Zertifizierungsverfahren durchlaufen haben. Da muss sich die PKV erstmal fragen: Wollen wir das auch? Uns wurde das nicht vorgeschrieben. Wir fragen uns: Wollen wir „nur“ die DiGAs der GKV erstatten oder wollen wir schneller sein? Oder wollen wir unseren Versicherten auch DiGAs zur Verfügung stellen, die das Zertifizierungsverfahren nicht überstanden haben, aus welchen Gründen auch immer. Oder Startups sagen: „Das ist uns zu teuer“, d. h. sie wollen bewusst das Zertifizierungsverfahren des BfArM umgehen. Das gibt es ja auch. Diese Startups wollen die DiGA lieber auf dem Selbstzahlermarkt etablieren plus eben PKV. Diese Fragen müssen wir uns stellen. Und daran anschließend: Brauchen wir ein eigenes Zertifizierungsverfahren als PKV? Nur etwas zu erstatten was wir nett finden, reicht ja auch nicht. Eine App sollte ja auch eine gewisse Wirkung haben und zum Therapieerfolg beitragen. Und es gibt natürlich Datenschutzfragen.

Roland Weber: Es ist ein bisschen so, wie wir das seit vielen Jahren aus dem Gemeinsamen Bundesausschuss kennen, der oft lange braucht bis er neue Verfahren und Methoden für die GKV zulässt. Und wir als PKV da schneller waren und den G-BA damit unter Druck gesetzt haben, weil die gesetzlichen Kassen das auch wollten. Diesen Wettbewerb wollen wir auch im Bereich der DiGAs aufrechterhalten. Wir waren z. B. die ersten die Telekonsultationen für unsere Versicherten ermöglicht haben. Vielen gesetzlichen KVs sind danach auf den Zug aufgesprungen. Und sind jetzt froh, in Corona-Zeiten über diese Möglichkeit zu verfügen. Das BfArM wird sich der bei der DiGA-Zulassung fragen: „Wofür ist die GKV da?“. Die GKV stellt Leistungen für das medizinisch Notwendige und für als politisch sinnvoll erachtete Sachverhalte im Rahmen des SGB V bereit. Die PKV funktioniert da anders.

Neue Apps und Online-Programme bieten die Möglichkeit einer neuen Servicequalität und auch einer neuen Art der medizinischen Versorgung. Mir ist aufgefallen, dass das Angebot vieler gesetzlicher Krankenkassen im Vergleich zu den Privaten deutlich vielfältiger ist. Woran liegt das?

Annabritta Biederbick: Einige Anwendungen sind bei uns im Internet ein bisschen versteckt. Wir haben da eine Philosophie. Wir wollen Versicherten nicht „irgendeine“ App anbieten. Ich nenne jetzt mal „mySugr“, ohne die App bewerten zu wollen. Wir sagen unseren Versicherten nicht: „Benutzt die App!“. Und lassen Sie dann alleine. Unsere Philosophie beim Gesundheitsmanagement lautet, dass wir die Versicherten begleiten wollen und die Apps dabei unterstützend sind. Bei einer Diabetiker-App wollen wir z.B. auch einen Coach zur Verfügung stellen, der die Werte mit den Versicherten gemeinsam durchgehen kann. Wir haben ein Online-Programm für psychisch Kranke. In unserem Diabetiker-Versorgungsprogramm haben wir eine App eingebaut. Wir haben ein Schlafprogramm mit mehreren verschiedenen Apps. Wir haben also Apps in der Anwendung, aber immer nur eingebettet in Versorgungsprogramme. Auch die TeleClinic erstatten wir. Was wir nicht haben, sind reine Präventionsprogramme, z. B. eine Fitness-App. Wir wollen zwar immer mehr Gesundheitsdienstleister werden, aber sind doch in erster Linie Krankenversicherer. Das hat auch sehr mit unseren Tarifen und auch mit der Versicherungsaufsicht zu tun. Bei uns ist der Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer Krankheit oder von Unfallfolgen. Und Schwangerschaft z. B., was natürlich keine Krankheit ist. Es muss also erstmal überhaupt ein Versicherungsfall vorliegen, bevor wir ins Spiel kommen und Erstattungen leisten können. Da gibt es eine Diskussion mit den Aufsichtsbehörden. Wir können nicht einfach aus Beitragsgeldern Fitness-Apps zur Verfügung stellen. Das müsste aus anderen Geldquellen geschehen.

Roland Weber: Ich glaube, es spielt eine große Rolle in der GKV, dass sie aktuell nach §20 SGB V („Primäre Prävention und Gesundheitsförderung“) gezwungen ist, Versicherten für 7,52 € jährlich Präventionsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Viele Kassen haben Schwierigkeiten auf diesen Betrag zu kommen. Und deshalb bietet man eine Vielzahl von Apps an, um anschließend dieses Budget erfüllen zu können. Und wenn das Gesetz geändert wird, dann macht man plötzlich was ganz anderes. Wir bieten nicht an, was der Gesetzgeber und der Gesundheitsminister gerade nach Lust und Laune gerne hätte.

Wie könnte denn eine Verstetigung der Dienstleistungs-Mentalität bei der Debeka aussehen?

Annabritta Biederbick: Wir haben z. B. mit der Süddeutschen Krankenversicherung ein Unternehmen gegründet, CareLutions mit Sitz in Stuttgart. Das soll nicht den Arzt ersetzen. Wir wollen auch nicht Digitalisierung der Digitalisierung wegen machen. Wir führen keine App ein, nur weil sie uns gut steht. Wir suchen nach gezielten Bausteinen für ein Programm.

Die Debeka ist Geber des VC-Fonds „Heal Capital“, in den insgesamt gut 100 Millionen € von gut 20 PKV-Unternehmen fließen. Was versprechen Sie sich von dem Projekt in den nächsten fünf Jahren?

Roland Weber: Wir wollen Innovationstreiber sein und hoffen natürlich, dass bei dem Projekt einiges für uns rumkommt, ein konkretes Startup haben wir uns aber bisher nicht ausgesucht. Wir gehen an das Projekt nicht politisch ran.

Mal etwas weiter in die Zukunft gedacht: Als Krankenversicherer sitzen sie auf jede Menge Gesundheitsdaten. Gab es denn schon mal die Idee, daraus mehr zu machen?

Annabritta Biederbick: Wir dürfen die Daten nur nutzen für den Zweck, für den sie uns gegeben worden sind. Wenn das für eine bessere Versorgung unserer Versicherten sein soll, dann müssen wir diesen Trend im Prinzip mitgehen. Aber mit dem Vertrauen, das unsere Versicherten uns entgegenbringen, müssen wir sehr sensibel umgehen. Im Rahmen der Gesundheitsdienstleistungen eines Krankenversicherers nutzen wir diese Daten auch schon, oft anonym, z. B. im Rahmen von Analysen oder Selektionen. Zum Beispiel um herauszufinden, wie groß der Bestand an Versicherten ist, die möglicherweise an Hepatitis C erkranken. Ich kann mir vorstellen, dass die Versicherten so etwas eines Tages von uns verlangen. Wir haben da allerdings sehr enge gesetzliche Vorgaben. Ein zweites Google werden wir also nicht. Aber es wäre denkbar, auf den Gesetzgeber hinzuwirken, z. B. durch die Darstellung bestimmter Use Cases, um zu zeigen, das sich damit auch vernünftige Dinge anstellen lassen und Leben gerettet werden können.

Roland Weber: Der Versicherte hat das Recht über seine Daten zu bestimmen. Was wir niemals machen werden, ist aus den Gesundheitsdaten unserer Mitglieder ein Geschäftsmodell zu machen. So wie in den USA. Dort ist es ja durchaus üblich, Gesundheitsdaten weiterzuverkaufen. Die Daten müssen Teil der Versichertengemeinschaft bleiben und gehören nicht nach draußen. Nur im Einzelfall und nach Einwilligung würden wir einen Versicherten informieren.

Ohne Vertrauen und Transparenz werden Versicherte die neuen digitalen Dienste wohl kaum nutzen. Müssen Krankenkassen hier einen Beitrag leisten?

Annabritta Biederbick: Unbedingt. Wir achten bei Apps in Versorgungsprogrammen darauf was passiert. Wohin gehen die Daten? Wo stehen die Server? In der EU außerhalb der EU? Transparenz ist ein Gebot des BDSG und der DSGVO.

Wie sieht eine erfolgreich digitalisierte Debeka also in 10 Jahren aus?

Roland Weber: Für die Versicherten wird es einfacher. Das Einreichen von Rechnungen wird komplett digital ablaufen. Bisher ist es ja noch so: Mitglieder bekommen eine Papierrechnungen vom Arzt, fotografieren sie, schicken uns das Foto, wir müssen versuchen die Daten herauszulesen und daraus die Erstattung machen. Obwohl die Daten ja eigentlich schon beim Arzt liegen. Wer werden Versicherten Informationen bereitstellen über die eigene Gesundheit und über mögliche Erkrankungen, nicht so wie über die Google-Suchmaschine, wo erstmal zwielichtige Selbsthilfegruppen erscheinen. Unsere Mitglieder bekommen qualitätsgesicherte Daten. Online-Sprechstunde und Online-Terminvereinbarung mit dem Arzt werden möglich sein. Wir werden unsere Versicherten rund um das Thema Gesundheit betreuen und ihnen viele Möglichkeiten zur Verfügung stellen, die das Leben angenehmer und sicherer machen.

Vielen Dank für das Gespräch.

zuletzt aktualisiert: 12.04.21, 12:08 Uhr

Das kann die Health App von Apple

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Die großen Techkonzerne drängen auf die nationalen Gesundheitsmärkte. Auch der Apple-Konzern will künftig kräftig mitmischen. Die ziemlich unscheinbare Health App steht dabei für mehr, als mancher so denken könnte.

Das kleine rote Herz vor weißem Grund sticht kaum hervor zwischen all den anderen Icons, die sich so auf dem eigenen Smartphone-Startbildschirm tummeln. Auf iPhones und iPods ab iOS-Version 8 ist die dazugehörige App bereits vorinstalliert. Sie gehört zu der Sorte von digitalen Fitness- und Lifestyle-Angeboten, an die man sich längst gewöhnt hat: Schritte, Kalorien und Schlafzeiten zählen.

Doch das Streben nach dieser Art von Selbstoptimierung ist nach wie vor nicht jedermanns Sache. »Ich spüre doch selbst am besten, wie es mir geht, dazu brauche ich doch jetzt nicht auch noch mein Smartphone«, mögen sich vielen denken. Ein Indiz dafür, dass diese Einstellung nach wie vor ziemlich ausgeprägt ist: Das Magazin Focus mit dem Aufmacher »Daten-Medizin« wurde zum echten Ladenhüter.

Doch hinter mancher unscheinbaren App steckt mehr, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Viel mehr. Denn Apples Health App will nicht weniger sein als der Prototyp einer digitalen Gesundheitsschaltzentrale – für alle.

»Deine Gesundheit von Kopf bis Fuß«

Um die Health App zu starten, musst du nur auf das Icon klicken, ein Gesundheitsprofil erstellen und Größe, Alter sowie Gewicht hinzufügen. Und schon beginnt das Datensammeln.

Was viele iPhone-Nutzer:innen wohl nicht wissen: Die App zählt ab diesem Zeitpunkt in der Hosentasche fleißig mit, nämlich die Schritte, die so tagtäglich mit dem Smartphone absolviert werden. Allein daraus kann die App schon viele Schlussfolgerungen ziehen. Denn bei der Erfassung der täglichen »Mobilität« geht es nicht nur um die Anzahl der Schritte und die zurückgelegte Strecke, sondern zum Beispiel auch um die Asymmetrie des Gangs und die »bipedale Abstützungsdauer« (prozentualer Anteil der Zeit beim Gehen, in der beide Füße gleichzeitig den Boden berühren) – die wird etwa zur Beurteilung des Gleichgewichts bei neurologischen Erkrankungen herangezogen. Ja, die Apple Health App geht weit darüber hinaus, was andere Fitness-Apps abfragen. Und mit der Mobilität hört es längst nicht auf.

Ballaststoffe, Biotin, Eisen, Cholesterin, Jod, Kalium, Kalzium, Riboflavin, Selen. Die Liste der einzutragenden Ernährungsparameter der Apple Health App ließe sich noch lange fortsetzen. Richtig medizinisch wird es bei der Erfassung der Leistungswerte der Atemwege oder der Herzparameter (neben Herzfrequenz und Blutdruck zum Beispiel die »Herzfrequenzvariabilität«, welche die zeitliche Variation zwischen zwei Herzschlägen eines Menschen beschreibt). Dazu kommen bekannte Fitnessparameter wie der Body-Mass-Index, der Körperfettanteil oder die elektrodermale Leitfähigkeit der Haut. Manches sammelt die App vor allem mit verbundener Smartwatch automatisch – vieles müssen Nutzer:innen selbst eingeben. Weibliche iPhone-User können zudem ein Zyklusprotokoll anlegen (mit Parametern wie »Akne«, »Appetit«, »Kopfschmerzen«, »Hitzewallungen« oder »Nachtschweiß«).

Insgesamt 13 Gesundheitskategorien hat Apple inzwischen in der App zusammengezurrt. Und sie vernetzt sich: Etwa mit der Apple-EKG-App von Apple-Watches oder den Informationen anderer Lifestyle-Apps, die auf dem Smartphone installiert sind. Für jede Gesundheitskategorie werden passende Gesundheits- und Lifestyle-Apps aus dem App Store gleich mit angezeigt. Und ein eigenes Logo in Apples App-Store – »Works with Apple Health« – zeigt dabei, welche anderen Programme kompatibel sind.

Alles ist darauf ausgelegt, das Datensammeln so leicht und umfangreich wie möglich zu machen.

Was die App bringt

Ganz frisch ist die Health App definitiv nicht, denn es gibt sie schon seit iOS 8 (erschienen im September 2014). Seitdem werden ihre Features konstant ausgebaut, sodass sie heute gewissermaßen als Hub für ein ganzes Ökosystem zum Thema Gesundheit funktioniert. Gerade in der Verknüpfung entsteht so ein immer genauer werdendes Bild der Gesundheit einer Person. Und das kann dabei helfen, die eigene Gesundheit zu optimieren und Auswirkungen von verändertem Verhalten und neuen Gewohnheiten genau zu bemerken. So lässt sich beispielsweise ein Schlafplan einrichten, den die App mit Nudging zu Entspannungsaktivitäten wie einer kurzen Einschlafmeditation kurz vor dem Schlafengehen unterstützt.

Auch könnte die Health App als Gesundheitsdienst für Patienten funktionieren: Apple beschreibt auf der eigenen Website etwa das Remote-Monitoring von Säuglingen oder von Patienten mit chronischen Krankheiten daheim. Die gesammelten Daten können dabei den Kontrolltermin beim Arzt ersetzen – zumindest in den USA. Dort kann die App bereits seit 2018 Daten und Befunde an teilnehmende Praxen und Krankenhäuser übermitteln (und umgekehrt)*. Seitdem nehmen immer mehr Gesundheitsdienstleister an dem Programm teil. Denkbar ist das auch in Deutschland.

Auch als Retter in der Not will die Health App taugen. Über einen digitalen »Notfallpass« sollen Rettungskräfte direkt über den Startbildschirm des iPhones auf wichtige medizinische Informationen wie Vorerkrankungen, Blutgruppe, Medikation oder Wirkstoffunverträglichkeiten zugreifen können. Auch lässt sich eine Liste mit Angehörigen einrichten, die beim Auslösen eines Notrufs über die Seitentasten des iPhones automatisch eine Nachricht erhalten.

Dazu sind die gesammelten Datensätze für die Forschung Gold wert. Das weiß auch Apple und ermöglicht es, gesammelte Datensätze aus der Health App für Studien freizugeben. Für Entwickler (in Forschungseinrichtungen) hat Apple dazu eigene Frameworks (HealthKit, CareKit und ResearchKit) entwickelt. Erste dieser sog. Datenstudien zur Erforschung von Parkinson, Epilepsie und Autismus sind in den USA bereits gelaufen.

Ist das alles auch sicher?

Keine Frage, die Gesundheitsdaten, welche die Health App zusammenträgt, sind äußerst sensibel, da sie empfindliche Informationen über Personen enthalten, an die Versicherungen (oder auch Kriminelle) nur zu gerne kommen würden. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn lässt mit seiner »Digitalisierungsoffensive« keinen Zweifel daran, dass er um den Wert der Gesundheitsdaten weiß und diesen Schatz heben will. So wurde hierzulande zum 1. Januar 2021 die elektronische Gesundheitsakte (ePA) eingeführt.

Das Wettrennen um die besten Gesundheitsdaten zwischen öffentlichen Gesundheitseinrichtungen und Privatkonzernen ist längst im Gange. Apples Ansatz könnte aber eventuell sogar Vorteile für Nutzer:innen bieten. Denn laut dem Unternehmen werden die in der App eingegebenen Daten automatisch verschlüsselt (bei Verwendung von Touch ID, Face ID oder eines Zugangscodes), in der hauseigenen iCloud von Apple gespeichert** und maschinell ausgewertet***.

Natürlich bleibt Apple ein Privatkonzern mit Sitz in den USA, wo geringere Datenschutzstandards gelten als in der EU. Doch so mancher möchte seine Gesundheitsdaten vielleicht lieber im Apple-Kosmos verwahren, als sie der eigenen Regierung anzuvertrauen – zumal der Konzern sich das Thema Datenschutz bereits aggressiv auf die (Marketing-)Fahne geschrieben hat.

Welche enorme Bedeutung das Unternehmen Apple der Gesundheitssparte generell zumisst, das hat der Apple-Chef Tim Cook in der Vergangenheit mehrfach betont. »Apples größter Beitrag zur Menschheit wird im Gesundheitsbereich liegen«, teilte er im Rahmen des Time 100 Summit 2019 mit. Die kleine Health App könnte also noch ganz groß rauskommen.

Infobox: Das »Quantified Self«

Diese Idee steht hinter vielen Health-Apps: das Sammeln von persönlichen Daten, um daraus die eigenen Gewohnheiten transparent zu machen und Erkenntnisse zu gewinnen, die dann das Leben der Nutzenden verbessern können.

* In der Health App werden sie dazu im Clinical-Document-Architecture(CDA)-Format abgelegt.

**So soll die Synchronisation der Daten über alle registrierten Geräte sichergestellt werden. Laut Apple müssen Apps, die auf die Health App zugreifen, eine »Datenschutzstrategie« nachweisen. Außerdem muss der User den entsprechenden Apps Zugriff auf die Daten in der Health App gewähren.

***Genauere Angaben zur Art und Weise der maschinellen Auswertung wollte Apple auf Anfrage nicht machen. Für eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist mindestens iOS 12 erforderlich. Für die Verarbeitung der Daten gilt die Apple-Datenschutzrichtlinie. Werden Drittanbieter-Apps eingebunden, gelten die dort vereinbarten Datenverarbeitungsrichtlinien.

zuletzt aktualisiert: 21.04.21, 19:21 Uhr

Keine Pflegeroboter in Sicht

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Digitalisierung in der Pflege – gibt es das überhaupt? Auf der ersten Smart Nursing Conference stellte man sich genau diese Frage, um anschließend die prinzipiellen Möglichkeiten der Digitalisierung im Pflegewesen zu erörtern. Dabei zeigte sich: Nur wer vom konkreten pflegerischen Nutzen ausgeht, hat die Chance, dass alle Beteiligten mitziehen.

Die Pflege in Deutschland ist in keinem guten Zustand. Schon lange nicht. Der Kostendruck in den Pflegeheimen sorgt für knappes Personal und schlechte Arbeitsbedingungen. Pflege ist ein Knochenjob und trotzdem finanziell nur wenig rentabel. Zudem genießen Pflegekräfte kaum soziales Prestige. Getreu dem Motto: Einer muss es halt machen. Wie viel von der notwendigen Sensibilität für echte menschliche Zuwendung bleibt in einem solchen Umfeld?

Oder sind die vorgebrachten Einwände inzwischen zu einer ewigen Litanei des Jammerns geronnen, die kaum noch einen sachlichen Blick auf den Zustand der deutschen Pflege zulässt? Fest steht, es sagt bekanntlich viel über eine Gesellschaft aus, wie sie mit ihren alten Menschen umgeht.

Auch wenn der Gesetzgeber hat mit dem Pflegepersonal Stärkungsgesetz (PPSG), der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV), der Konzertierte Aktion Pflege nachgebessert hat, ist die Stimmung in der Branche zwar leicht besser als im Vorjahr, aber prinzipiell weiterhin mies. Das geht aus dem Care Klima Index 2019 vor, nach dem gut 40 % der professionellen Pflegekräfte und des Pflegemanagements nach wie vor deutliche Vorbehalte gegenüber der Wirksamkeit der gesetzlichen Maßnahmen hegt. Die konkreten Arbeitsbedingungen werden von einer Mehrheit weiterhin als „schlecht“ bewertet.

Könnte die Digitalisierung daran etwas ändern? Gefragt nach der Relevanz zukünftiger Innovationen steht die „Erweiterung der pflegerischen Kompetenz“ (68 %) an erster Stelle. Weit abgeschlagen ist hingegen die Robotik (14 %). Auf den weiteren Plätzen folgen mit 62 % der Wunsch nach einer „Entbürokratisierung durch Digitalisierung“, 45 % sehnen die Umsetzung der elektronische Patientenakte herbei, 39 % die der „Digitalen Dokumentation“. Für 35 % ist das AAL-Smart-Home von Relevanz und 26 % sprechen sich für mehr Innovation im Bereich Telemedizin und Tele-Pflege (Tele-Nurse, Tele-Care) aus.

Es gibt also Redebedarf, zumal es bis heute keine einheitliche „Strategie“ mit klaren Zielvorgaben für die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen von politischer Seite gibt. Zwar wurden zahlreiche neue Strukturen und Foren geschaffen wie der Health Innovation Hub, Fördermittel bereitgestellt und Modellprojekte initiiert (wie die „Zukunftsregion digitale Gesundheit“) sowie gesetzgeberische Initiativen (DVG, PDSG, Krankenhauszukunftsgesetz usw.) auf den Weg gebracht (und verabschiedet), aber insbesondere für die Pflege resultiert daraus bisher nur wenig Konkretes, Verbindliches und Dauerhaftes.

Politisches Momentum erzeugen
Sechs Verbände aus dem Gesundheits- und Sozialwesen unter Federführung des Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) haben sich deshalb zu einem Bündnis „Digitalisierung in der Pflege“ zusammengetan und in einem Positionspapier erste Grundforderungen gestellt. Darunter fällt eben zuvorderst die Forderung nach einem „nationalen Strategieplan“ für die Digitalisierung in der Pflege bis zum Jahr 2022. Darin geklärt werden soll u. a. die gezielte Refinanzierung von erbrachten digitalen pflegerischen Leistungen, z. B. durch die Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen sowie die Etablierung neuer Berufsbilder wie das eines „Pflege-Digital-Begleiters“, der Pflegebedürftige dabei unterstützt, die digitalen Chancen in der Pflege überhaupt erst für sich zu erschließen und auf die eigenen Bedürfnisse abzustimmen.

„Ist die Pflege eigentlich schon bereit für eine Digitalisierung“ fragte Moderator Stephan Hohndorfs, Projektmanager am NursIT Institute, das zugleich Ausrichter der Veranstaltung war, gleich zu Beginn der ersten, rein virtuell ausgetragenen Smart Nursing Conference 2020 sinngemäß, in deren Rahmen rund 15 Redner vor allem aus der Gesundheits-IT-Wirtschaft zu Wort kamen – viele davon selbst mit langjährigen Berufserfahrungen in der Pflege, wie der Unternehmensgründer von NursIT Heiko Mania oder die Diplom-Pflegewirtin Annemarie Fajardo von der Beratungsfirma Curacon. Und wo fängt man am besten an?

Ein Vortrag kurz vor der Mittagspause von Annemarie Fajardo war es dann auch, den man vielleicht auch hätte ganz an den Anfang stellen können, um diese Frage zu beantworten. Sie präsentierte eine von ihrer Beratungsgesellschaft erarbeitete „Digi-Landkarte“, um konkrete Handlungsfelder für eine Digitalisierung in der stationären Altenhilfe überhaupt erstmal zu identifizieren.

Aus dieser Vogelperspektive wurde schnell deutlich, was Digitalisierung im Kern letztlich bedeutet: nämlich nicht nur die elektronische Patientenakte vor Ort, telemedizinische Zusatzangebote oder auch die Einbindung neuer Geräte in den Versorgungsalltag, sondern vor allem die Vernetzung der unterschiedlichen Akteure des Ökosystems Pflege, vom Pflegepersonal, anderen Krankenhäusern, dem Hausarzt über die Krankenkasse, externe Service-Dienstleister bis hin zu den Angehörigen in der häuslichen Versorgung. Woraus sich auch die besondere Komplexität des Vorhabens ergibt. Und die Erfordernis zu einer systematischen Überzeugungsarbeit. Oder wie Guido Burkhardt von der Beratungsfirma qhit healthcare consulting es zuspitzte. „In der Regel wollen viele Mitarbeiter ja keine Veränderung, sondern nur eine Verbesserung“.

Für gute Überzeugungsarbeit braucht es stichhaltige Argumente. Ein gutes Argument für eine gelungene digitale Anwendung im Pflegealltag lieferte Annemarie Fajardo mit der Formulierung „Diese Anwendung entlastet mich“, die in kluger Software aber nicht nur ausschließlich einen Benefit für das Personal, sondern z. B. auch eine Möglichkeit für Pflegeeinrichtungen sieht, sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren.

Mit der Dokumentation fängt alles an
Heiko Mania berichtete von seinen Erfahrungen bei der Entwicklung und Einführung von medizinischer Software für den Pflegealltag, insbesondere für die Pflegedokumentation. Die Digitalisierung der Pflegedokumentation ist für ihn der Schlüssel für eine weitere Digitalisierung in der Pflege. Er regte an, Digitalisierung weniger als reines IT-Projekt, das um ein Produkt herum angelegt sei, zu sehen, sondern den Prozess und das Change Management im Hinblick auf das anvisierte und im Vorfeld klar definierte Ziel in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei sei die Digitalisierung „eine Lösung“ für die Bewältigung vieler Herausforderungen im deutschen Gesundheitswesen und in der Pflege.

Mania entwarf das Szenario einer „mobilen, automatisierten Pflege-Expertenplattform“, einem „Daten-Drehkreuz“, in das sich die Pflegeprozessdokumentation langfristig weiterentwickeln soll. Ihm schwebt die Entwicklung „vom Formular zum Management eines komplexen Datenmodells“ vor, in das Daten aus verschiedenen Produkten, z. B. Sensoren oder anderen Krankenhaus-IT-Systemen (KIS, PDMS, Abrechnung, Überleitportale) einfließen und dort (auf KI-Basis) ausgewertet werden sollen. „Vom smarten Teller in die Akte“, so Mania salopp. Ziel einer solchen Plattform sei es, das Fachwissen der Pflegekräfte anzureichern, hin zu einer „agilen Pflege“ auf der Basis eines „digitalen Workflows“. In diesen könnten langfristig auch Vorhersagemodelle für Patienten einfließen. Wann muss der Bewohner wieder auf die Toilette? Der Algorithmus könnte dafür in Zukunft eine Antwort parat haben.

Letztlich sollen die Pflegekraft so wieder mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe gewinnen, die echte Zuwendung zum Patienten. Nur 25 % der Pflegezeit sei derzeit der direkten Arbeit am Patienten gewidmet, sagenhafte 60 % des Arbeitstages verfielen auf Dokumentationsaufgaben, so Mania. Das sind zutiefst ernüchternde Zahlen.

Produkte für das Daten-Ökosystem
Betrand Hughes vom Schweizer Unternehmen compliant concept, das sich auf die Sturz- und Dekubitusprophylaxe spezialisiert hat, stellte den „Mobility Monitor“ vor, ein einfach anzubringendes Monitoring-System für Betten, das z. B. fehlende oder überflüssige Bewegungen in der Nacht registriert und so ein dynamisches Risiko-Profil für Stürze oder die Entwicklung eines Dekubitus erstellt. Das System soll u. a. die Nachtruhe verbessern, weil Pflegende nur dann eingreifen müssen (z. B. durch die regelmäßige Umlagerung des Patienten), wenn der Patient sich nachts nicht selbständig ausreichend bewegt. Oder drohende Stürze werden erkannt, z. B. weil sich ein Patient nachts aufrichtet oder auf die Bettkante setzt. Das Pflegepersonal erhält dann eine entsprechende Warnmeldung. Schnittstellen zur Patientendokumentation oder auch zu den Smartphones der Pflegemitarbeiter sollen einen reibungslosen Datenfluss garantieren.

Thorsten Amann von der Firma Clinaris präsentierte ein Echtzeit-Tracking-System für Medizinprodukte im Krankenhaus, das auch den Hygienezustand und den technischen Status der Geräte abbildet. Daten, die für das Wartungs- und Hygiene-Personal, die Pflegedienstleistung für das Abstellen von Ressourcen aber auch für Ärzte, die schnell ein brauchbares freies Bett oder eine verfügbare Beatmungsmaschine suchen, von Bedeutung sein können.

Stefan Schieck, Business Development Manager bei 3M, präsentierte das System „360 Encompass Smarte KI“, zur automatisierten Codierung und Integration von Daten zu erbrachten pflegerischen Leistungen, insbesondere von Daten der medizinischen Dokumentation (Pflegedokumentation, Arztbriefe, technische Unterlagen, Formulare im KIS, Scans, Tages- und Pflegekurven, Labordaten, Medikationsdaten). Die Plattform soll für eine sichere automatisierte Erlössicherung sorgen.

Alina Guther und von der Firma ACD stellte den neuen, modular erweiterbaren Handheld Computer M2Smart®SE vor, der sich nach dem „Build your own device“-Prinzip mit verschiedenen Modulen erweitern lässt, z. B. mit dem Kamera-Modul zur Wunddokumentation M2Care-W mit TOF-Laser und Radar-Sensor zur Ermittlung von Wundgröße und -tiefe. Stoyan Halkaliev, CEO von NursIT, zeigt die dazu passende Wund-Manager-Software zur intelligenten Wunderfassung und mit Schnittstellen für die direkte Übertragung in die Wunddokumentation, z. B. in die elektronische Patientenakte oder auch in ein DICOM-Bildarchiv.

Sascha Stützer von Datalogic präsentierte das „Clinical Smartphone“ M20, das u. a. einen Barcode-Scanner und ein Minidisplay zur Anzeige von dringenden Mitteilungen umfasst, ohne dass das Gerät direkt berührt werden muss. Dafür verlangt Datalogic aber auch stolze 1799 €.

Wesentlich günstiger ist da die Cloud-basierte Team-Management-App HLth.care Team. Die ist nämlich kostenlos. Das gilt allerdings nur für die reine App, die nach dem Messenger-Prinzip funktioniert. Der SaaS- und die Enterprise-Services vor Ort können mit mehreren tausend Euro zu Buche schlagen. Guido Burkhardt von qhit healthcare consulting präsentierte das Tool, mit dem sich die Dienstplanung schnell, unbürokratisch und sicher in der Cloud abwickeln lassen soll – vor allem bei spontanen Dienstausfällen, die in der Pflege nicht selten sind. Damit soll die Work-Life-Balance des Pflegepersonals deutlich verbessert werden.

Was ist gute Pflege?
Im einem Interview mit EHealth.com äußerte sich Pflegeexperte Holger Dudel dazu wie folgt: „Theoretisch wissen wir, was wir tun müssen. Das steht alles in der Pflegecharta drin. Wir müssen Menschen aktivieren und die Selbstbestimmung verbessern, wir müssen die Pflegequalität stärken und Pflegebedarf vermeiden. Bei all diesen Punkten können technische Lösungen in unterschiedlichem Maße helfen. Es braucht also Anreize, die Einrichtungen belohnen, wenn sie Pflege vermeiden, Qualität anbieten und die Selbstständigkeit fördern. Die gibt es aber nicht. Eine Pflegeeinrichtung profitiert heute tendenziell davon, wenn der Pflegegrad steigt, weil sie dann mehr Geld erhält, der Aufwand aber nicht in gleichem Maße ansteigt. So lange das so ist, werden wir in der Fläche keine präventiv ausgerichtete Pflegetechnik sehen.“

Für ein neues „Bild“ von Pflege plädierte im Rahmen der Smart Nursing Conference deshalb auch Medizinfotograf Bertram Solcher (medizinphoto.de). In seinem Vortrag ging es erfrischenderweise mal nicht um die Details der neuesten Technik, sondern um die Macht der Bilder in der Darstellung der Aufgaben in Medizin und Pflege und aller Beteiligten in diesem System. Wie lassen sich alte Traditionsmuster von Pflege durch neue Motive aufbrechen, die über die Klischees von klassische Stock-Fotos hinausgehen? Müssen Arzt und Pflegekraft eigentlich immer am Krankenbett von oben herab auf den Patienten blicken? Welche Bedeutung haben Berührung und Zuwendung gerade jetzt, in Zeiten von Corona? Lässt sich in einem Rollstuhl vielleicht noch mehr tun als nur sitzen? Ein bisschen Phantasie kann an dieser Stelle sicher nicht schaden. Für gute Pflege. Und vor den harten Verhandlungen ums knappe Geld.

zuletzt aktualisiert: 08.02.21, 16:41 Uhr

3 elektrische Zahnbürsten singen die Nationalhymne des Vereinigten Königreichs

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Ein Finne persifliert mit gehackten Elektrogeräten bekannte Popsongs, Videospiel-Soundtracks und auch gerne mal die ein oder andere Nationalhymne. Wer hätte gedacht, dass es so bunt und schlau zugehen kann, wenn nur ein paar elektrische Schreibmaschinen, Kreditkartenlesegeräte und elektrische Zahnbürsten auf der Bühne stehen?

Elektroschrott. Wer hat ihn nicht zu Hause? Ein altes Smartphone in dieser Schublade, ein paar Kabel dort. Und ja klar, der alte Drucker wird erstmal noch nicht entsorgt, schließlich stecken da noch Teile drin, mit denen man vielleicht irgendwann einmal noch etwas anfangen könnte. Wegschmeißen? Nee, nee, du. Und die alte Schreibmaschine auf dem Dachboden? Pah, auf nichts schreibt es sich schöner! Wer hat diese gute alte Zeit überhaupt nur abgeschafft!

Neues Leben für alte Geräte

Vielleicht haben auch den jungen finnischen Betreiber des Youtube-Kanals „Device Orchestra“ einmal Trennungsängste geplagt, bevor er beschloss, seinen alten Geräten neues Leben einzuhauchen. Mit einem manipulierten Toaster und einer Waschmaschine scheint nach einem Blick in die Youtube-Chronik jedenfalls alles angefangen zu haben. „My heart will go on“ summt es da blechern aus dem Trommelinnern. Ok, vielleicht noch kein Herzensbrecher, aber auch das Hacken einer Waschtrommel will erstmal gelernt sein.

Was sich aus diesen ersten Versuchen in den darauffolgenden Jahren entwickelt hat, ist inzwischen zu einer echten kleinen Rock-’n‘-Roll-Sammlung angewachsen, zumindest nach Elektro- und Haushaltsgeräte-Maßstäben.

Kreuz und quer durch die Plattensammlung

Wenn sich das ratternde Geräusch des Farbbands einer elektrischen Schreibmaschine mit dem rhythmischen Schleifen des Bonausdrucks eines Kredikartenlesegeräts zu Darudes Dance-Hymne „Sandstorm“ paart, während im vorderen Bereich der „Bühne“ zwei elektrische Zahnbürsten synchron mit dem Kopf wippen, dann wähnt man sich beim Blick auf die Geräte-Kombo schon bald in einem kleinen Badezimmer- oder Büro-Popkonzert. Allerspätestens aber, wenn fünf elektrische Zahnbürsten zu „Wannabe“ von den Spice Girls die Hüften kreisen lassen und die Kachel-Optik der Zahnbürstenkopf-Close-Ups sich grundsolider Videoästhetik bedient, wird man mitgerissen.

Aber es geht auch kritischer: Für eine Persiflage der UK-Nationalhyme „God save the Queen“ klebt der Macher von Device Orchestra seinen Zahnbürsten sogar Plastikkulleraugen an, setzt sie in feines Teetassenporzellan und bastelt ihnen bunte Frisuren und biegsame Stoff-Ärmchen zum Hochhalten der Nationalflagge. Für die elektronische Darbietung der amerikanischen Nationalhymne muss eine waghalsige Toilettenpapier-Konstruktion herhalten (natürlich für Kredikartenlesengeräte) und bei der Aufführung der Hymne der russischen Föderation darf die notwendige modische Strenge nicht fehlen, da muss es eine schwarze Fliege schon sein (während ein kleiner Dampfkessel in regelmäßigen Abständen die angespannten Borstengesichter mit dem nötigen Show-Nebel umbläst).

Wer weg will vom subtil Anarchistischen, der kann sich zu „Happy“ von Pharrell Williams einen Standardsatz guter Laune abholen (mit Nähmaschine) oder sich bei „We will rock you“ von der Schreibmaschine erst den Beat einstampfen und dann vom Kreditkartenlesegerät eine „Pommesgabel“ ausdrucken lassen. Wer das passend dazu getaktete Haarepiliergerät sehen will, muss jetzt einfach mal selbst reinklicken.

Aber Vorsicht: „Twinkle, Twinkle, Little Star“ auf einem Ladyshave ist nichts für kleine Kinder!

Ich traue meiner alten Zahnbürste jetzt jedenfalls mehr zu als früher. Und werde mich in Zukunft wohl noch schwerer von meinen alten Elektrosachen trennen können.

Von der Pharmaindustrie bis zum Rettungsdienst: Augmented Reality kann komplexe Arbeit einfacher, schneller und sicherer machen

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In vielen Berufen kriegt man es mit komplexen Maschinen, Produktionsanlagen oder Verfahren zu tun. Die Folge können Fehler, zusätzliche Kosten oder sogar Unfälle sein. Doch Augmented Reality – also digitale Informationen, eingeblendet in die reale Welt – soll Abhilfe schaffen. Wie das geht, beweisen zum Beispiel das Münchner Unternehmen Goodly Innovations und die Nürnberger Digitalagentur SEVEN M, die AR-Systeme für die Pharmabranche und den Rettungsdienst entwickeln.

Ob Tablette, Salbe oder Injektionslösung: Die Herstellung pharmazeutischer Produkte, die nicht selten unter sterilen Reinraumbedingungen stattfinden muss, ist hochindividuell und unterliegt gleichzeitig strengsten Vorschriften. Dennoch werden oft viele Erzeugnisse in derselben Produktionsstraße angefertigt, die jedes Mal auf das jeweilige Produkt angepasst werden muss.

In der Praxis müssen kleine Teams also Prozesse ausführen, die mehrere Hundert Schritte mit teils genau festgelegter Reihenfolge beinhalten können. So müssen Schalter oder Regler an den Anlagen neu eingestellt oder Teile ein- und ausgebaut werden – und das in der Regel von Hand und nach komplexen Anleitungen, die oft immer noch auf Papier gedruckt werden. Eine mühselige und fehleranfällige Arbeit. Versehentlich zerdrückte Kartons, Nähte, die nicht richtig schließen, oder unerwünschte Keimbelastungen können die Folge sein und ganze Produktionschargen vernichten.

„In der Pharmabranche werden manchmal über 100 Produkte auf einer Linie verpackt“, sagt Robert Hoffmeister, Geschäftsführer von Goodly Innovations aus München, im Gespräch mit 1E9. Genau hier will seine Firma mit ihrer Software OptiworX ansetzen: Es soll die komplex regulierten Prozesse exakt abbilden und den Teams und Mitarbeitern die passenden Aufgaben zum passenden Zeitpunkt am passenden Ort anzeigen – und damit die Fehlerquote beim Umbau senken sowie den gesamten Ablauf beschleunigen. Auch das Onboarding und Training von Mitarbeitern soll mit OptiworX schneller und präziser funktionieren – und auf die unterschiedlichen Hintergründe abgestimmt sein. Gelingen soll all das mit Augmented Reality.

Denn bei OptiworX handelt es sich um ein Augmented-Reality-System, das die Anleitungen aus Papier komplett ersetzt – und noch mehr kann. Mehrere Mitarbeiter können damit gleichzeitig auf Informationen zu den unterschiedlichsten Maschinen zugreifen. Über AR-Brillen, Smart Glasses oder Tablets werden die relevanten Informationen in das Sichtfeld der User eingeblendet, die dadurch sofort wissen, was als nächstes zu tun ist.

Auch die Dokumentation ist automatisiert

„Ich komme eigentlich aus der Medien-Technologie-Ecke“, sagt Robert Hoffmeister, der über zehn Jahre in Kalifornien bei Lucasfilm und Disney in verschiedenen technischen Positionen gearbeitet hat. Bei Goodly Innovations bündeln er und sein Mitgründer Dirk Schrader, der über jahrelange Erfahrung in der Pharma-Industrie verfügt, nun ihr Wissen.

Ihre AR-Lösung soll die Arbeit um über 40 Prozent beschleunigen – mit potenziell weitreichenden Folgen für die Kunden: Beispielsweise können sie dank AR selbst kleine Chargen, die bisher aus Kostengründen eher im Ausland produziert wurden, in Zukunft lokal abwickeln, verspricht Robert Hoffmeister. Erste Fallstudien bei sechs der globalen Top-10-Pharmafirmen sollen die Effizienz belegen. Auch neurowissenschaftliche Erkenntnisse führt das Unternehmen an, nach denen das Arbeiten mit AR-Medien die Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit der User besonders stark bündele. Ein weiterer Vorteil der digitalen Lösung: Die vorgeschriebene Dokumentation der einzelnen Arbeitsschritte wird automatisch, sicher und konform abgewickelt.

Zu Konkurrenzanbietern wie der AR-Plattform Vuforia von PTC möchte sich Goodly vor allem durch das branchenspezifische Know-How, die Einhaltung geltender Dokumentations- und Entwicklungsstandards der Pharmaindustrie und die flexibleren Konfigurationsmöglichkeiten abgrenzen. Goodly Innovations ist Microsoft-Partner und setzt mit seiner Lösung prinzipiell auf die volle Funktionalität von Microsofts AR-Brille HoloLens 2. Doch die OptiworX-Software erlaubt auch die Einbindung von vielen Mobile-, Smart- und AR-Devices anderer Hersteller.

Technische Beschränkungen gebe es allerdings durchaus, zum Beispiel durch einstrahlendes Sonnenlicht. Auch die nicht immer ausreichende Akku-Laufzeit der HoloLens von zwei bis drei Stunden gelte es bei längeren Einsätzen mit externen Battery Packs zu überbrücken. Eine weitere Herausforderung: die Brillen-Reinigung. Nicht jede Gerätehardware hält den Substanzen stand, die die Regularien der Pharmabranche in manchen Bereichen vorschreiben.

Für die nahe Zukunft plant Goodly Innovations neue Funktionen für den Remote-Support inklusive Audit Trail, also die lückenlose Aufzeichnung von Prozessänderungen zur Rückverfolgung und Qualitätssicherung. Damit ließen sich beispielsweise Mitarbeiter über von externen Fachkräften aus der Ferne anleiten, ein gerade in Corona-Zeiten überaus nützliches Feature.

So kann Augmented Reality bei Rettungseinsätzen helfen

Rettungseinsätze sind schnell und unübersichtlich. Doch auch hier soll AR helfen, wenn es nach der Digital-Agentur SEVEN M aus Nürnberg geht. Ihr Anliegen ist die Digitalisierung von Rettungsplänen. Das sind jene schematische Übersichtsdarstellungen, die manchmal in Kraftfahrzeugen meist hinter der Frontsichtblende ausliegen, um Rettungskräften einen schnellen Überblick über Details der Fahrzeugkonstruktion zu geben, zum Beispiel über gezielt verstärkte Punkte der Karosserie, die sich nur schwer aufschneiden lassen, Sprengsysteme wie Airbag und Gurtstraffer sowie gefährliche Hochvoltsysteme.

Im aufkommenden Zeitalter der Elektromobilität wird vor allem die Batterie eine entscheidende Rolle spielen, denn die verbaute Hochvoltelektronik ist für die Rettungskräfte potenziell lebensgefährlich. Mit einer AR-App für Smartphones oder Tablets mit dem Arbeitstitel RASAR will SEVEN M Rettungskräfte in die Lage versetzen, sich schnell einen Überblick über die vorhandene Elektronik zu verschaffen. Die App soll Fahrzeugmodelle automatisch anhand der geometrischen Form erkennen können, bietet aber auch verschiedene Optionen, um bei Bedarf manuell nachzuhelfen. Zum Beispiel, wenn die Modellerkennung aufgrund von Rauchentwicklung am Unfallort oder einem extrem beschädigten Fahrzeug versagt. Dazu sind Fahrzeugmodelldaten fest in der App hinterlegt. GPS-Signale werden für die Fahrzeuglokalisation nicht ausgewertet.

Phillip Taufenbach, der Kreativ-Direktor der Agentur, vertraut auf die AR-Technik – auch unter schwierigen Bedingungen: „Die Gesamtproportion reicht für die Erkennung des entsprechenden Typs in der Regel gut aus“, sagt er. Auch soll die App durch gezielte Rückfragen, etwa ob der Airbag ausgelöst wurde, und eine effiziente Menüführung den Zugang zu allen für den Einsatz relevanten Informationen beschleunigen. Natürlich steht zur Not auf Knopfdruck auch einfach der zweidimensionale Rettungsplan zur Verfügung.

Mit der App wollen Phillip Taufenbach und seine Kollegen zudem die Abhängigkeit der verschiedenen Rettungsdienste (THW, Feuerwehr, DRK) von den Leitstellen reduzieren, die die erforderlichen Fahrzeugdetails nicht immer sofort bereitstellen können. Mit der AR-App geht das direkt am Unfallort. Die App ist übrigens nicht nur für die Rettungseinsätze konzipiert, sondern soll auch zu Schulungszwecken dienen.

Vergleichbare Lösungen gibt es bisher auch von einzelnen Autoherstellern. Diese beschränken sich jedoch in der Regel auf die eigenen Fahrzeugmodelle wie beispielsweise die AR-App Mercedes-Benz Rescue Assist, bei der es sich derzeit aber offenbar lediglich um einen Prototypen handelt. Eine funktionierende App ist in den Stores von Google und Apple jedenfalls nicht abrufbar.

Wie es zu der Idee kam? „Der Automobilsektor ist tief in unserer Firmen-DNA verwurzelt“, sagt Phillip Taufenbach. „Das Thema Hochvoltabsicherung bei Rettungseinsätzen ist uns in den letzten beiden Jahren schon öfter über den Weg gelaufen und somit bei uns im Hinterkopf immer mit präsent gewesen. Die AR-Tracking Technik hat, wie wir uns in einem aktuellen Kundenprojekt überzeugen konnten, auch ein entsprechendes Qualitätslevel erreicht. Somit haben wir im Kontext des New Realities Wettbewerbs entschlossen, das Thema intensiver anzugehen“.

Sowohl Goodly Innovations als auch SEVEN M nehmen mit ihren AR-Anwendungen am New Realities Wettbewerb von 1E9 und dem XR HUB Bavaria statt, dessen Sieger im Rahmen der 1E9-Konferenz im November gekürt werden.